Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Position nochmals, senkte die Hand, und Ayla traf die falsche Wahl.
»Das macht drei! Ich habe gewonnen. Aber ein einziges Spiel, damit läßt sich nicht herausfinden, ob man Pech oder Glück hat. Möchtest du noch eines spielen?« fragte Crozie.
»Ja. Ich möchte gern noch einmal spielen«, sagte Ayla.
Crozie lächelte, doch als Ayla bei den nächsten beiden Malen richtig riet, bekam ihr Gesicht etwas weit weniger Freundliches. Stirnrunzelnd rieb sie die Mittelhandknochen des Moschusochsen ein drittes Mal zusammen.
»Sieh mal dort drüben! Was ist das?« sagte Crozie und zeigte mit dem Kinn – ein sehr plumper Versuch, die junge Frau abzulenken.
Ayla blickte hin, und als sie wieder zu der alten Frau hinsah, lächelte diese. Die junge Frau nahm sich beim Auswählen der Hand, die ihrer Meinung nach den Knöchel enthielt, der sie zur Gewinnerin machte, viel Zeit; ihre Entscheidung hatte sie jedoch sehr rasch getroffen. Sie wollte Crozie nicht allzusehr verunsichern, doch hatte sie gelernt, die unbewußten Körpersignale, die die Frau beim Spiel von sich gab, zu deuten, und wußte daher genau, in welcher Hand sie den unverzierten Knöchel hielt, als ob Crozie es ihr gesagt hätte.
Es hätte Crozie sehr betroffen gemacht, wenn sie gewußt hätte, daß sie sich so leicht verriet, doch besaß Ayla einen unschätzbaren Vorteil. Sie war es so sehr gewohnt, feine Haltungs- und Ausdrucksunterschiede zu deuten, daß es ihr fast zur zweiten Natur geworden war. Beides hatte den wesentlichen Teil der Sprache ausgemacht, mit der der Clan sich verständigte. Inzwischen war ihr aufgefallen, daß diese Dinge auch bei Menschen Bedeutung besaßen, die sich vornehmlich mit Wörtern verständigten, nur daß sie nicht bewußt eingesetzt wurden.
Ayla war so sehr damit beschäftigt gewesen, die gesprochene Sprache der anderen, bei denen sie jetzt lebte, zu erlernen, daß sie keine besondere Mühe darauf verwendet hatte, ihre unbewußte Körpersprache zu verstehen. Jetzt, wo sie sich gut, wenn auch vielleicht noch nicht mit besonderer Präzision und immer fließend ausdrücken konnte, konnte sie die Kommunikation auch auf Ausdrucksbestandteile ausweiten, die für gewöhnlich nicht als zur Sprache gehörig betrachtet werden. Das Spiel, das sie mit Crozie spielte, machte ihr deutlich, wieviel sie über Menschen ihrer eigenen Art lernen konnte, indem sie Wissen und Einsichten anwandte, die sie beim Clan erworben hatte. Und da Clan-Angehörige nicht lügen konnten, weil Körpersprache außerstande war, etwas zu verbergen, konnten diejenigen, die sie als die Anderen gekannt hatte, ihre Geheimnisse womöglich noch weniger vor ihr verbergen. Sie wußten ja nicht einmal, daß sie »sprachen«. Zwar war sie noch nicht soweit, daß sie die Körpersignale der Anderen voll und ganz deuten konnte … aber sie lernte.
Ayla wählte die Hand, die den unverzierten Mittelhandknochen des Moschusochsen hielt, woraufhin Crozie sichtlich verärgert einen dritten Strich für sie machte. »Diesmal hat dir das Glück gelacht«, sagte sie. »Da ich ein Spiel gewonnen habe und du eines, könnten wir sagen, daß wir quitt sind und vergessen, daß wir gewettet haben.«
»Nein«, sagte Ayla. »Wir haben Können eingesetzt, und du hast mein Können gewonnen. Mein Können ist die Heilkunst. Ich werde dir etwas geben. Und ich möchte dein Können.«
»Welches Können?« fragte Crozie. »Mein Können beim Spiel? Darauf verstehe ich mich auf meine alten Tage noch am besten, und schon hast du mich geschlagen. Was also willst du mehr?«
»Nein, es geht mir nicht ums Spielen. Ich möchte weißes Leder machen«, sagte Ayla.
Crozie bekam vor Überraschung den Mund nicht mehr zu. »Weißes Leder!«
»Ja, weißes Leder. Wie bei dem Kleid, das du bei der Adoptionsfeier getragen hast.«
»Ich habe seit Jahren kein weißes Leder mehr gemacht«, sagte Crozie.
»Aber du kannst es machen, nicht wahr?«
»Ja.« Crozie bekam einen ganz weichen Blick, und sie richtete das Auge in weite Fernen. »Das habe ich als junges Mädchen gelernt, von meiner Mutter. Früher galt weißes Leder dem Herdfeuer des Kranichs heilig, zumindest heißt es so in der Legende. Niemand anders durfte es tragen …«
Die Augen der alten Frau wurden wieder hart. »Aber das war, ehe das Herdfeuer des Kranichs in der allgemeinen Achtung so tief sank, daß selbst ein Brautpreis so gut wie nichts mehr bringt.« Eindringlich sah sie die junge Frau an. »Was bedeutet weißes Leder dir?«
»Es ist wunderschön«, sagte Ayla,
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