Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
bist innerlich verletzt, stimmt es nicht?«
Ayla holte tief und unter Schmerzen Luft und bemühte sich, den Schrei zu unterdrücken, der herauswollte. »Ja«, sagte sie. Jetzt wandte sie ihm das Gesicht zu, und er sah Tränen im gedämpften Licht schimmern.
»Dann weine, Ayla. Du solltest dir keinen Zwang antun. Du hast Grund, Schmerzen zu leiden, und du hast ein Recht zu weinen«, sagte Mamut.
»Ach, Mamut«, rief sie da und schluchzte auf, dann jedoch den Laut wieder erstickend. Doch daß er ihr erlaubte zu weinen, war eine Erleichterung für sie, und so weinte sie, weil sie bekümmert war und ihr das Herz brach.
»Laß dich gehen, Ayla. Es tut dir gut zu weinen«, sagte er, setzte sich an den Rand ihres Bettes und klopfte sie sanft auf den Rücken. »Es wird alles so werden, wie es werden soll und wie es gedacht ist. Es ist alles in Ordnung, Ayla.«
Als sie schließlich aufhörte zu weinen, suchte sie nach einem Stück weichen Leders, um sich das Gesicht abzuwischen und die Nase zu putzen. Dann setzte sie sich auf. »Es geht mir jetzt besser«, sagte sie.
»Es ist immer wohltuend zu weinen, wenn man das Bedürfnis hat. Aber vorbei ist es noch nicht, Ayla.«
Ayla senkte den Kopf. »Ich weiß.« Dann wandte sie sich ihm zu und sagte: »Aber warum?«
»Irgendwann wirst du wissen, warum. Ich glaube, dein Leben wird von mächtigen Gewalten gelenkt. Du bist für ein besonderes Schicksal auserwählt worden. Die Last, an der du trägst, ist nicht leicht; bedenke nur, was du in deinem jungen Leben schon alles durchgemacht hast. Aber dein Leben wird nicht nur aus Schmerzen bestehen, du wirst auch große Freuden erleben. Du wirst geliebt, Ayla. Du ziehst die Liebe an. Sie wird dir gegeben, um es dir zu erleichtern, die Bürde zu tragen. Du wirst immer geliebt werden … vielleicht ist es zuviel Liebe …«
»Ich hatte gedacht, Jondalar liebte mich …«
»Ich wäre mir an deiner Stelle nicht allzu sicher, daß er es nicht mehr tut. Aber es lieben dich noch viele andere Menschen, ich alter Mann zum Beispiel auch«, sagte Mamut lächelnd. Auch Ayla entlockte das ein Lächeln.
»Selbst ein Wolf und zwei Pferde lieben dich. Sind es nicht schon viele gewesen, die dich geliebt haben?«
»Du hast recht. Iza hat mich geliebt. Sie war meine Mutter. Es spielte keine Rolle, daß nicht sie es war, die mich zur Welt gebracht hat. Als sie starb, sagte sie mir, mich habe sie am meisten geliebt … und Creb hat mich auch geliebt … und das, obwohl ich ihn enttäuscht … ihn verletzt habe.«
Ayla hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Uba hat mich geliebt … und Durc.« Wieder hielt sie inne. »Glaubst du, ich bekomme meinen Sohn noch einmal zu sehen, Mamut?«
Der alte Schamane antwortete nicht sogleich. »Wie lange ist es jetzt her, daß du ihn das letztemal gesehen hast?«
»Drei … nein, vier Jahre. Geboren habe ich ihn im zeitigen Frühjahr, und als ich fortging, war er drei Jahre alt. Er steht ungefähr in Rydags Alter …« Plötzlich sah Ayla den alten Schamanen an und sprach ernst, aber erregt weiter: »Mamut, Rydag ist ein Kind von gemischten Geistern, genauso wie mein Sohn. Wenn Rydag hier leben kann, warum dann nicht auch Durc? Du bist zu der Halbinsel gewandert und wieder zurückgekommen, warum sollte ich nicht hingehen, Durc holen und ihn hierherbringen? So weit ist es nun auch wieder nicht.«
Mamut runzelte die Stirn und überlegte sich sehr genau, was er sagte.
»Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Ayla. Diese Frage kannst du dir nur selbst beantworten, doch ehe du einen Entschluß faßt, mußt du sehr genau überlegen, was das beste ist – und zwar nicht nur für dich, sondern auch für deinen Sohn. Du bist eine Mamutoi. Du hast unsere Sprache gelernt und kennst inzwischen viele unserer Sitten und Gebräuche. Trotzdem gibt es auch für dich noch viel zu lernen.«
Ayla hörte nicht auf die sorgfältig gewählten Worte des Schamanen. Sie war im Geiste bereits weitergestürmt. »Wenn Nezzie ein Kind aufgenommen hat, das nicht einmal sprechen kann, warum dann nicht eines, das sprechen könnte? Durc wäre dazu imstande, wenn er eine Sprache hätte, die er lernen könnte. Durc könnte Rydag ein Freund sein. Durc könnte ihm helfen, laufen und Sachen für ihn holen. Durc ist ein guter Läufer.«
Mamut ließ sie ihre begeisterte Aufzählung fortsetzen, bis sie von selbst damit aufhörte, doch dann fragte er: »Wann würdest du aufbrechen wollen, um ihn zu holen, Ayla?«
»Sobald ich kann. Im Frühjahr … Nein, im
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