Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
leben; nun aber auch noch in eine Welt einzutreten, in der ihr nichts vertraut ist, müßte noch unendlich viel schwieriger sein. Besonders in eine Welt, in der sie gehaßt und mißverstanden werden würde.
Was, wenn ich zurückkehrte in das Tal? Und Durc und Ura dann holte, dort mit mir zu leben? Aber Durc braucht Menschen … und ich auch. Ich will nicht allein leben; warum sollte Durc den Wunsch haben, allein in einem Tal mit mir zu leben?
An mich habe ich gedacht, nicht an Durc. Es würde keineswegs besser für ihn sein, hierherzukommen. Das würde ihn nicht glücklich machen – nur mich. Dabei bin ich gar nicht mehr Durcs Mutter. Uba ist seine Mutter. Ich bin für ihn nur die Erinnerung an eine Mutter, die starb, und vielleicht ist das auch besser so. Der Clan ist seine Welt; und ob es mir nun gefällt oder nicht, dies hier ist meine Welt. Ich kann nicht zum Clan zurück; Durc kann nicht hierherkommen. Es gibt keinen Ort auf der ganzen Welt, wo mein Sohn und ich zusammen leben und glücklich sein können.
Ayla war am nächsten Morgen früh wach. Selbst nachdem sie endlich doch eingeschlafen war, hatte sie nicht gut geschlafen. Sie war immer wieder aufgewacht, hatte von bebender Erde und einstürzenden Höhlen geträumt und war unruhig und bedrückt. Sie half Nezzie, Wasser für die Suppe zu erhitzen und Körner für die Morgenmahlzeit zu mahlen, und war froh, Gelegenheit zu haben, mit ihr zu reden.
»Mir ist der ganze Schlamassel schrecklich, den ich angerichtet habe, Nezzie. Jetzt wird meinetwegen das gesamte Löwen-Lager gemieden«, sagte Ayla.
»Das darfst du nicht einmal denken. Es ist nicht deine Schuld, Ayla. Wir konnten uns entscheiden, und wir haben es getan. Du hast nur Rydag in Schutz genommen, und der gehört auch zum Löwen-Lager, zumindest für uns.«
»Die ganzen Schwierigkeiten haben mir in einer Beziehung die Augen geöffnet«, fuhr Ayla fort. »Seit ich vom Clan fort bin, habe ich immer daran gedacht, eines Tages hinzugehen und meinen Sohn zu holen. Jetzt ist mir klargeworden, daß ich das nie tun kann. Ich kann ihn weder hierherbringen, noch kann ich dorthin zurück. Allerdings, zu wissen, daß ich ihn nie wiedersehen werde, gibt mir das Gefühl, ihn jetzt noch einmal verloren zu haben. Ich wünschte, ich könnte weinen und um ihn trauern, aber ich bin ganz ausgetrocknet und leer.«
Nezzie sortierte gestern frischgepflückte Beeren und streifte sie von den Stengeln. Jetzt hielt sie inne und sah Ayla voller Verständnis an.
»Jeder erlebt Enttäuschungen im Leben. Jeder verliert geliebte
Menschen. Du hast deine Leute verloren, als du noch ganz klein warst. Das war eine Tragödie, aber du kannst nichts daran ändern. Mit Selbstvorwürfen kommt man da nicht weiter. Wymez wird sich wohl bis an sein Lebensende Vorwürfe machen, am Tod der Frau schuld zu sein, die er liebte. Ich denke, Jondalar gibt sich die Schuld am Tod seines Bruders, und du hast einen Sohn verloren. Es ist hart für eine Mutter, ein Kind zu verlieren, aber du hast noch etwas: Du weißt, daß er noch am Leben ist. Rydag hat seine Mutter verloren … und irgendwann werde ich ihn verlieren.«
Nach der Morgenmahlzeit ging Ayla hinaus. Die meisten Leute hielten sich im Bereich des Rohrkolben-Lagers auf. Sie blickte zum Mittelpunkt des Treffens hinüber, dann zum Lärchen-Lager, der neuerrichteten Sommerunterkunft des Mammut-Lagers. Überrascht sah sie, daß Avarie zu ihr herüberspähte. Und fragte sich, welche Gefühle sie wohl heute bewegten, ihr Lager so nahe am Löwen-Lager aufgeschlagen zu haben.
Avarie ging zu dem Zelt, das ihr Bruder als Herdfeuer des Mammut bestimmt hatte, kratzte am Leder und trat dann, ohne eine Antwort abzuwarten, ein. Vincavec hatte seine Lagerstatt ausgerollt, so daß sie fast die Hälfte des Bodens einnahm. In der Mitte stand ein Tragegestell, eine reich geschmückte Haut, die über ein Gestell aus Mammutknochen gespannt war, die wiederum mit frischen Lederriemen miteinander verbunden worden waren. Vincavec saß auf den Fellen und lehnte sich lässig an das Tragegestell.
»Man ist geteilter Meinung«, sagte sie ohne Vorrede. »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Vincavec. »Das Löwen-Lager hat beim Bau der Hütte tüchtig mit angepackt. Als sie weiterzogen, herrschte bei uns allen ein mehr als freundschaftliches Gefühl ihnen gegenüber. Und Ayla mit ihren Pferden und dem Wolf war faszinierend – und weckte auch ein bißchen ein Gefühl von ehrfürchtiger Scheu. Doch wenn man jetzt
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