Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
gegen ihren Bruder nicht ankamen. Tulie bezweifelte sogar, daß sie gegen sie selbst ankommen würden. Sie war fast so groß wie der Blondhaarige und möglicherweise kräftiger als er; aber möglich, daß er aufgrund seiner großen Reichweite doch überlegen war. Was wußten sie, das sie nicht wußte? Sie trat einen Schritt vor.
»Ich gebe dir etwas, worauf du wetten kannst«, sagte sie. »Wenn du gewinnst, räume ich dir das Recht ein, irgend etwas von mir zu fordern, sofern es vernünftig ist und in meinen Kräften steht. Ich werde die Forderung erfüllen.«
»Und wenn ich verliere?«
»Räumst du mir das gleiche ein.«
»Tulie, willst du wirklich auf etwas wetten, was du nicht genau kennst?«, fragte Barzec seine Gefährtin und legte sorgenvoll die Stirn in Falten. So hohe Pfänder waren gefährlich insofern, als für gewöhnlich mehr als das Übliche dafür gefordert wurde. Nicht so sehr, weil der Gewinner ungewöhnlich hohe Forderungen stellte, wiewohl auch das vorkam, sondern weil der Verlierer sicher sein mußte, daß die Wette auch wirklich galt und später keine weiteren Forderungen gestellt wurden. Wer weiß, was dieser Fremde zu fordern imstande war?
»Was erst später eingelöst werden muß? Ja«, erwiderte sie. Was sie nicht sagte, war, daß sie überzeugt war, weder so noch so zu verlieren; denn wenn er gewann, wenn er wirklich schaffte, was er da behauptete, dann hatten sie Zugang zu einer wertvollen neuen Waffe. Verlor hingegen er, hatte sie einen Anspruch auf ihn. »Was sagst du, Jondalar?«
Tulie war gerissen, aber Jondalar lächelte. Es war nicht das erste Mal, daß er auf etwas wettete, das erst in der Zukunft eingelöst werden mußte; das hatte dem Spiel stets Würze und zusätzlichen Reiz verliehen und war für die Zuschauer um so interessanter gewesen. Er hatte ja nichts dagegen, das Geheimnis seiner Entdeckung mit ihnen zu teilen. Ihm ging es darum zu sehen, wie man es allgemein akzeptierte und welche Vorteile es beim gemeinsamen Jagen brachte. Mit ein wenig Erfahrung und Übung konnte jeder damit umgehen. Das war ja gerade das Schöne daran. Allerdings kostete es Zeit, die neue Technik zu erlernen, und es erforderte echte Begeisterung. Beides konnte dadurch gewonnen werden, daß er sich auf diese Wette einließ … außerdem konnte er Ansprüche auf Tulie erheben. Er zweifelte keinen Moment am Ausgang ihrer Wette.
»Einverstanden«, sagte Jondalar.
Ayla verfolgte das Zwischenspiel. Die Wetterei begriff sie nicht ganz, verstand nur, daß es um irgendeinen Wettstreit ging, war sich jedoch darüber im klaren, daß sich unter der Oberfläche noch mehr abspielte.
»Laßt uns hier ein paar Ziele aufstellen, nach denen wir werfen können. Und ein paar Stücke Holzkohle zum Anzeichnen«, sagte Barzec und übernahm damit die Leitung des Wettstreits. »Druwez, hole doch mit Danug ein paar lange Knochen, die wir als Zielpfosten aufstellen können.«
Lächelnd sah er den beiden Jungen nach, wie sie den Hang hinunterliefen. Danug, der so sehr Talut ähnelte, überragte den anderen Jungen; dabei war er nur ein Jahr älter als dieser; mit seinen dreizehn Jahren zeigte Druwez eine gedrungene, sehnige und muskulöse Statur, die sehr viel Ähnlichkeit mit Barzecs Gestalt aufwies.
Barzec war überzeugt, daß dieser Jüngling und die kleine Tusie die Frucht seines Geistes waren, genauso wie Deegie und Tarneg vermutlich die Frucht von Darnevs Geist. Was Brinan betraf, so war er sich nicht ganz sicher. Acht Jahre waren seit seiner Geburt verstrichen, aber man konnte es immer noch nicht recht sagen. Möglich, daß Mut einen anderen Geist erwählt hatte und nicht einen der beiden Männer vom Herdfeuer des Auerochsen. Er ähnelte Tulie, hatte das rote Haar ihres Bruders, doch eigentlich sah Brinan aus wie er selbst. Darnev hatte das in bezug auf sich genauso empfunden. Barzec hatte plötzlich das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben, und war sich der Abwesenheit seines Partners bei Tulie schmerzlich bewußt. Ohne Darnev war es nicht dasselbe, dachte Barzec. Zwei Jahre waren vergangen, und er war immer noch so traurig wie Tulie.
Als die Mammutbein-Pfosten aufgestellt und rote Fuchsschwänze daran gebunden sowie Körbe auf buntgefärbten Gräsern darüber gestülpt worden waren, erfüllte alle das Gefühl, einen Festtag zu begehen. Beginnend bei jedem Pfosten, wurden die langen Grashalme in bestimmten Abständen so zusammengebunden, daß eine breite Bahn entstand. Kinder liefen die Wurfbahn auf und ab, trampelten das
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