Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
steil abfallenden Klippe, war der Große Mutter Fluß, dem sie so lange gefolgt waren; doch aus dieser Perspektive hatte Ayla ihn noch nie gesehen. Sie hatte zwar alle Arme des Flusses in einem einzigen Bett vereinigt gesehen, aber immer nur von einem Ufer aus, das kaum höher lag als der Wasserspiegel. Der Drang, hinab-zublicken und den Fluß aus dieser Höhe zu betrachten, war unwiderstehlich.
Der häufig verbreiterte und sich windende Fluß war zwischen Felswänden eingezwängt, die fast senkrecht emporragten. Mit tiefen, gegen Felsen anbrandenden Unterströmungen drängte der Große Mutter Fluß mit lautloser Kraft vorwärts; eine stetige Dünung warf Wellen auf und ließ sie wieder in sich zusammenfallen. Obwohl noch viele weitere Nebenflüsse einströmen würden, bevor der große Fluß sein volles Ausmaß erreichte, hatte er selbst hier, so weit vom Delta entfernt, eine so gewaltige Breite, daß der Unterschied kaum wahrnehmbar war, zumal, wenn man von oben auf ihn herabblickte.
An manchen Stellen ragten Felsen aus der Oberfläche heraus, an denen sich das Wasser aufschäumend brach, und während sie hinabschaute, prallte ein Baumstamm von einem solchen
Felsen ab und suchte sich seinen Weg um ihn herum. Was ihr kaum auffiel, war ein Gebilde aus Holz direkt unter ihr, dicht am Fuß der Klippe. Als sie schließlich aufschaute, ließ Ayla den Blick über die Berge am anderen Ufer schweifen. Obwohl ihre Kuppen nach wie vor gerundet waren, waren sie höher und steiler als weiter flußabwärts und erreichten fast die Höhe der steilen Gipfel auf der Seite, auf der sie standen.
Darvalo wartete geduldig, bis Ayla den ersten Anblick des dramatischen Zugangs zur Heimstätte seiner Leute genossen hatte. Er hatte sein ganzes Leben hier verbracht und nahm ihn als selbstverständlich hin, aber er hatte schon zuvor erlebt, wie Fremde darauf reagierten. Er empfand einen gewissen Stolz, wenn Leute so überwältigt waren, und danach schaute er selbst genauer hin und sah alles mit ihren Augen neu. Als Ayla sich schließlich zu ihm umdrehte, lächelte er, dann führte er sie um die Bergwand herum auf einen Pfad, der ursprünglich nur ein schmaler Sims gewesen war, den man mit viel Mühe verbreitert hatte. Jetzt bot der Pfad Raum für zwei dicht nebeneinander hergehende Leute und war damit auch breit genug für jemanden, der Holz trug, auf der Jagd erlegte Tiere oder andere Vorräte, und auch für die Pferde.
Als Jondalar sich dem Rand der Klippe näherte, verspürte er den vertrauten Schmerz, der sich immer einstellte, wenn er aus großer Höhe in leeren Raum hinabblickte, einen Schmerz, den er in der ganzen Zeit, in der er hier gelebt hatte, nie ganz losgeworden war. Er war nicht so heftig, daß er keine Gewalt darüber gehabt hätte, und er genoß den grandiosen Blick und wußte auch die Mühe zu würdigen, die es gekostet hatte, auf einem wenn auch kurzen Stück die solide Felswand nur mit Hilfe von Steinbrocken und schweren Steinäxten abzuschlagen, aber das änderte nichts an dem Gefühl, das ihn unweigerlich überkam. Dennoch war dieser Zugang besser als der andere, häufiger benutzte Weg.
Ayla folgte dem jungen Mann um die Felswand herum; sie behielt Wolf dicht bei sich, und Winnie folgte ihr in geringem Abstand. An der anderen Seite lag eine ebene Fläche von beachtlichen Ausmaß. Einst, vor sehr langer Zeit, als das riesige Becken im Westen ein Binnenmeer gewesen war und anfing, sich durch die Rinne hindurch zu entleeren, die das Wasser in den Fels gegraben hatte, war der Wasserstand wesentlich höher gewesen, und es hatte sich eine geschützte Bucht gebildet, die jetzt in Form einer trockenen Nische weit oberhalb des Flusses lag.
Grünes Gras, das fast bis an den Rand des Steilhangs heranwuchs, bedeckte den Boden vor ihnen. Ungefähr in der Mitte drängte sich Gestrüpp dicht an die Felswand, wurde dichter und ging in kleine Bäume über, die an dem steilen Abhang im Hintergrund wuchsen. An der ihnen zugewandten Seite, in einer abgerundeten Ecke im Hintergrund, gab es einen Überhang aus Sandstein, der so groß war, daß er mehreren aus Holz errichteten Behausungen Platz bot und eine behagliche, geschützte Wohnfläche lieferte.
Auf der dahinter liegenden, grasbewachsenen Fläche befand sich der kostbarste Bestandteil dieses Areals. Eine Quelle mit reinem Wasser, die in den Bergen entsprang, sickerte über Felsen, sprudelte über Simse und floß in Form eines kleinen Wasserfalls über einen kleineren
Weitere Kostenlose Bücher