Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Brunst-zeit im Frühling, härter. Sie bäumten sich gegeneinander auf, bissen einander in den Nacken und schlugen mit den Hinterbeinen aus, um Köpfe und Brustpartien zu treffen. Erst nach mehreren Jahren in einer solchen Gemeinschaft waren die Männchen imstande, eine junge Stute zu rauben oder den Leit-hengst zu entmachten.
Als Stute, die ohne Begleitung in ihr Revier eingedrungen war, zog Winnie die Aufmerksamkeit sowohl der weibliche Herde als auch der Junghengste auf sich. Ayla gefiel die Art nicht, in der der Leithengst sich ihnen näherte - so stolz und arrogant, als wollte er einen Anspruch einlösen.
"Lauf, Wolf", sagte sie und gab ihm ein Zeichen, seinen Platz zu verlassen. Sie beobachtete, wie er auf die Herde zulief. Für Wolf waren die Wildpferde lauter Winnies und Renners, und er wollte mit ihnen spielen. Ayla wußte, daß er die Pferde nicht ernsthaft gefährden konnte. Er hätte diese starken Tiere nicht allein niederwerfen können. Dazu hätte es eines ganzen Rudels von Wölfen bedurft, und selbst Rudel fielen nicht über ausge-wachsene, gesunde Tiere her.
Ayla trieb Winnie an. Die Stute zögerte einen Augenblick, aber sie war so gewohnt, der Frau zu gehorchen, daß sie sich trotz ihres Interesses an den anderen Pferden in Bewegung setzte. Doch ging sie langsam und blieb von Zeit zu Zeit stehen. Dann brach Wolf in die Herde ein. Er vergnügte sich damit, die Pferde zu jagen, und Ayla sah, daß sie auseinanderstoben und ihr Interesse an Winnie verloren.
Als Ayla das Lager erreichte, war alles für sie vorbereitet. Jondalar hatte gerade die drei Stangen aufgestellt, an denen er ihren Reiseproviant aufhängte, um ihn vor Tieren zu schützen, die ihn vielleicht gern vereinnahmt hätten. Das Zelt war aufge-schlagen, das Loch gegraben und mit Steinen ausgelegt, und er hatte sogar einige Steine verwendet, um die Feuerstelle abzu-grenzen.
"Schau dir das an", sagte er, als sie abstieg. Er wies auf eine kleine, mit Seggen, Riedgräsern und einigen Bäumen bestandene Insel, die sich mitten im Fluß auf Schwemmsand gebildet hatte. "Da ist ein ganzer Schwarm von Störchen, schwarzen und weißen. Ich habe beobachtet, wie sie landeten", sagte er lächelnd. "Das hättest du sehen müssen! Sie stießen herunter und schwangen sich wieder in die Luft, machten dabei fast einen Salto rückwärts. Sie falteten ihre Flügel zusammen und ließen sich einfach fallen; dann, als sie schon beinahe unten waren, breiteten sie wieder die Flügel aus. Ich hatte den Eindruck, daß sie nach Süden ziehen. Wahrscheinlich fliegen sie morgen früh weiter."
Ayla beobachtete die großen langschnäbeligen und lang-beinigen Vögel. Sie suchten das Ufer nach Nahrung ab, liefen in dem seichten Wasser auf und ab und schnappten mit ihren langen, starken Schnäbeln nach allem, was sich bewegte - Fischen, Eidechsen, Fröschen, Insekten und Würmern. Sie taten sich sogar an den Überresten eines an den Strand gespülten Wisentkadavers gütlich. Obgleich sich die beiden Arten in der Farbe ihres Gefieders stark voneinander unterschieden, ähnelten sie sich in Größe und Gestalt. Die weißen Störche hatten Flügel mit schwarzen Rändern und waren in der Mehrzahl; die schwarzen Störche zeichneten sich durch weiße Flügelunterseiten aus und stellten mit Vorliebe den Fischen nach.
"Wir haben auf dem Rückweg eine große Herde von Pferden gesehen", sagte Ayla und griff nach den Schnee- und Rebhühnern. "Viele Stuten und Jungtiere. Und einen Leit-hengst. Er ist weiß."
"Weiß?"
"So weiß wie die weißen Störche. Er hatte nicht einmal schwarze Beine", sagte sie, während sie die Riemen des Packsattelkorbes löste. "Im Schnee würdest du ihn gar nicht erkennen."
"Weiß ist selten. Ich habe noch nie ein weißes Pferd gesehen", sagte Jondalar. Dann dachte er an Noria und die Zermonie der Ersten Riten und erinnerte sich an das weiße Pferdefell, das an der Wand hinter der Bettstatt hing und mit den roten Köpfen junger gefleckter Waldspechte geschmückt war. "Aber ich habe einmal ein weißes Pferdefell gesehen sagte er.
Etwas im Ton seiner Stimme ließ Ayla aufschauen. Er fiel ihren Blick auf und errötete, als er sich umwandte, um Winnie von dem Tragkorb zu befreien. Er fühlte sich genötigt, eine Er-klärung abzugeben.
"Es war bei der ... Zeremonie bei den Hadumai."
"Jagen sie Pferde?" fragte Ayla. Sie faltete die Reitdecke zu-sammen, dann hob sie die Vögel auf und ging zum Flußufer. "Ja, das tun sie. Warum?" fragte Jondalar, der ihr
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