Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
wieder, daß sie trotz ihres schrecklichen Erlebnisses gereinigt war und auf die
gleiche Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit Anspruch hatte wie jedes andere Mädchen an der Schwelle des Frauentums.
Ayla und Daraldi tanzten noch miteinander, als der Raum sich allmählich leerte. Er wandte sich ihr zu.
"Ayla, du bist eine unglaublich schöne Frau", sagte er.
Diese Bemerkung überraschte sie sehr. In ihrer Jugend war sie stets das große häßliche Mädchen gewesen. Sie hielt sich nicht für schön.
"Nein", sagte sie lachend. "Ich bin nicht schön!"
Das hatte er nicht erwartet.
"Aber ... doch, das bist du", sagte er.
Daraldi hatte den ganzen Abend versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, aber trotz der an Anspielungen reichen Unter-haltung war es ihm nicht gelungen, den Funken zu entzünden, der weitere Vorstöße ermöglichen würde. Er war ein attraktiver Mann, und sie feierten das Fest der Mutter; doch sie schien sein Verlangen nicht zu bemerken.
"Ayla", flüsterte er ihr ins Ohr, "du bist wirklich eine schöne Frau."
Sie sah ihm voll ins Gesicht, hielt sich aber zurück, anstatt sich bereitwillig an ihn zu schmiegen. Er zog sie näher an sich, aber sie bog sich zurück, legte ihre Hände auf seine Schultern und blickte ihn arglos an.
Ayla hatte die Bedeutung des Mutterfestes nicht ganz verstanden. Anfangs war sie der Meinung gewesen, es handle sich nur um ein geselliges Zusammensein, auch wenn man immer davon gesprochen hatte, die Mutter zu "ehren" - und was das gewöhnlich hieß, wußte sie. Als sie die Paare bemerkte, die sich in die dunkleren Ecken zurückzogen, schwante ihr etwas, aber erst jetzt, als sie Daraldis Verlangen spürte, ging ihr auf, was er von ihr erwartete.
Er zog sie an sich und wollte sie küssen, was Ayla nicht kalt ließ. Seine Hand fand ihre Brust und verlor sich unter ihrem Kittel. Er war ein gutaussehender Mann, und das Gefühl war nicht unangenehm; sie war entspannt und in bereitwilliger Stimmung, aber sie brauchte noch ein wenig Zeit.
"Laß uns zu den Tänzern zurückgehen", sagte sie.
"Warum? Es sind sowieso nicht mehr viele übrig. Die meisten sind schon weg."
"Ich möchte einen Tanz der Mamutoi vorführen", sagte sie, und er willigte ein. Sie war ihm entgegengekommen, und er konnte noch warten.
Als sie die Mitte des Tanzplatzes erreicht hatten, sah Ayla, daß Jondalar mit Madenia tanzte und ihr einen Schritt zeigte, den er bei den Sharamudoi gelernt hatte. Filonia, Losaduna, Solandia und ein paar andere standen um sie herum und klatschten im Rhythmus der Flöte und der Trommel.
Ayla und Daraldi fielen in das rhythmische Klatschen ein. Sie fing Jondalars Blick auf und klatschte auf die Oberschenkel statt in die Hände, wie es die Mamutoi zu tun pflegten. Madenia zog sich zurück, und Jondalar tanzte mit Ayla. Sie bewegten sich aufeinander zu, lösten sich voneinander, wirbelten herum und blickten einander über die Schulter an. Von dem Moment an, in dem sie seinem Blick begegnet war, sah Ayla nur noch Jondalar.
Die Spannung zwischen ihnen war offenkundig. Losaduna beobachtete sie eine Weile und nickte unmerklich. Die Mutter hatte ihre Wünsche klar und deutlich kundgetan. Daraldi zuckte die Achseln und lächelte Filonia an. Madenias Augen öffneten sich weit.
Als Ayla und Jondalar aufhörten zu tanzen, lagen sie einander in den Armen und hatten ihr Umgebung völlig vergessen. Solandia klatschte, und alle fielen in den Beifall ein. Schließlich drang das Geräusch zu ihnen durch. Ein wenig beschämt lösten sie sich voneinander.
"Laßt uns austrinken, was noch übrig ist", schlug Solandia vor.
"Gute Idee!" sagte Jondalar und hielt Ayla im Arm. Er wollte sie jetzt nicht mehr loslassen. Er trank seinen Becher in einem Zug aus, hob Ayla plötzlich hoch und trug sie zu ihrer Lagerstatt. Sie fühlte sich seltsam heiter, freudig erregt, fast so, als wäre sie einem unangenehmen Schicksal entronnen; doch nichts kam Jondalars Glück gleich. Er hatte sie und die Männer, die sich um sie bemühten, den ganzen Abend beobachtet, hatte sich bemüht, Losadunas Rat zu folgen und ihr jede Gelegenheit zu geben, und war sicher, daß sie am Ende einen anderen wählen würde.
Er hätte mit vielen Frauen gehen können, konnte sich aber nicht dazu durchringen, bevor sie ihre Wahl getroffen hatte. So blieb er bei Madenia, die noch keinem Mann gehören durfte. Er genoß es, sich um sie zu kümmern und zu sehen, wie sie in seiner Gesellschaft auflebte. Und was Filonia betraf, so hätte er
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