Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
eigenes sein sollte.
Sethona, Jonaylas Kusine, die nur ein paar Tage vor ihr zur Welt gekommen und ihre ständige Spielkameradin war, hatte graue Augen und dunkelblondes Haar. Ayla fand, sie sah Marthona ähnlich, denn sie zeigte bereits Anzeichen für die Würde und Anmut der ehemaligen Anführerin und hatte deren klaren, offenen Blick. Ayla wandte ihre Aufmerksamkeit Joharrans und Jondalars Mutter zu. Marthona sah man ihr Alter an, ihre Haare waren grauer, das Gesicht hatte mehr Falten als früher, doch es war nicht nur ihre körperliche Erscheinung. Ihr ging es nicht gut, und das beunruhigte Ayla. Sie hatte mit Zelandoni über Marthonas Zustand und alle möglichen Arzneien und Behandlungen gesprochen, die ihr helfen könnten, aber sie wussten beide, dass sie Marthona nicht davor bewahren konnten, eines Tages in die nächste Welt überzugehen, sie konnten nur hoffen, es hinausschieben zu können.
Obwohl Ayla ihre Mutter verloren hatte, schätzte sie sich glücklich, Iza, die Medizinfrau des Clans, als Mutter gehabt zu haben, und Creb, den Mog-ur als den Mann ihres Herdfeuers. Nezzie von den Mamutoi war die Mutter, die sie ins Löwenlager hatte aufnehmen wollen, obwohl der Mamut vom Herdfeuer des Mammut sie stattdessen adoptiert hatte. Jondalars Mutter hatte Ayla von Anfang an wie eine Tochter behandelt, und Ayla empfand Marthona als ihre Mutter, ihre Mutter bei den Zelandonii. Sie fühlte sich auch der Ersten verbunden, betrachtete sie jedoch eher als Lehrerin und Freundin.
Wolf beobachtete die Mädchen, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt. Er hatte bemerkt, dass Ayla sich näherte, doch als sie sich nicht sofort zu ihnen gesellte, hob er den Kopf und sah sie an, woraufhin alle anderen auch in ihre Richtung schauten. Ayla war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie stehen geblieben war.
»Wie geht es ihm?«, fragte Joharran.
»Das ist noch schwer zu sagen. Wir haben Schienen an die gebrochenen Knochen in seinen Beinen und seinem Arm gelegt, aber wir wissen nicht, was vielleicht im Innern verletzt ist. Er atmet, ist jedoch noch nicht aufgewacht. Seine Gefährtin und seine Mutter sind jetzt bei ihm. Zelandoni hat das Gefühl, bei ihnen bleiben zu müssen, aber ich glaube, wenn jemand ihr etwas zu essen bringt, könnte das seine Familie ermutigen, herauszukommen und auch etwas zu sich zu nehmen.«
»Ich bringe ihr eine Mahlzeit und versuche die anderen zu überreden, herauszukommen.« Proleva stand auf. Sie nahm einen vom Stoßzahn eines großen Mammuts abgeschlagenen und mit Sandstein geglätteten Elfenbeinteller und legte ein paar Scheiben von dem Steinbockkitz darauf, das im Ganzen am Spieß gebraten worden war. Ein wahres Festmahl. Jäger von der Neunten und den benachbarten Höhlen waren mit großem Erfolg auf Steinbockjagd gegangen. Proleva fügte ein bisschen Blattgemüse, kurz gekochte Frühlingstriebe von Disteln und ein paar Wurzeln hinzu und trug alles zum Eingang von Zelandonis Wohnstätte. Sie kratzte an dem Stück Rohleder neben dem schweren Ledervorhang, der über dem Eingang hing. Kurz darauf trat sie ein. Schon bald kam sie mit der Gefährtin und der Mutter des Verletzten wieder ins Freie, brachte sie an die größte Feuerstelle und reichte ihnen Teller.
»Ich sollte wieder hineingehen«, sagte Ayla zu Jondalar. »Hat Matagan dir ausgerichtet, dass ich heute Abend wahrscheinlich spät kommen werde?«
»Ja, ich lege Jonayla schlafen«, erwiderte er, stand auf und hob das Kind hoch. Er umarmte die Frau, berührte ihre Wange mit seiner, während Ayla die beiden an sich drückte.
»Heute habe ich Grau geritten«, erzählte Jonayla. »Jonde hat mich mit rausgenommen. Er ist auf Renner geritten. Winnie war auch dabei, aber sie hatte niemanden, der auf ihr ritt. Warum bist du nicht mitgekommen, Mutter?«
»Das wäre ich gern, Bebe.« Ayla umarmte die beiden noch einmal. Der Kosename für ihr Kind ähnelte dem Wort »Baby«, ihrem Namen für das verletzte Löwenjunge, das sie einst gefunden, wieder gesundgepflegt und aufgezogen hatte. Es war eine Abänderung des Clan-Wortes für Kind oder Kleines. »Aber heute ist ein Mann abgestürzt und hat sich verletzt. Zelandoni hat versucht, ihn gesundzumachen, und ich habe ihr geholfen.«
»Wenn es ihm wieder bessergeht, kommst du dann mit?«, fragte Jonayla.
»Ja, wenn er wieder gesund ist, reite ich mit dir aus«, versprach Ayla und dachte, falls er gesund wird. Dann wandte sie sich an Jondalar. »Nimm doch Wolf auch mit.« Ihr war aufgefallen, dass die
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