Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
noch nicht ganz ihrem Willen folgte, beschloss sie, einen Selbstversuch zu wagen. In den zweiten Becher heißes Wasser gab sie ein paar anregende Kräuter und trank dann vorsichtig davon. Die Erste war zwar nicht sicher, ob sie tatsächlich etwas linderten, zumindest aber hatten sie keine nachteiligen Folgen.
Gestützt von einem Zelandoni stand sie auf und ging zu der Schlafstatt, auf der bis vor kurzem Laramar gelegen hatte. Jetzt lag Ayla dort. »Habt ihr versucht, ihr heißes Wasser einzuflößen?«, fragte sie.
»Wir bekommen ihren Mund nicht auf«, sagte ein junger Gehilfe, der in der Nähe stand.
Die Erste versuchte, Aylas Mund mit Gewalt zu öffnen, aber ihr Kiefer war wie blockiert, als wehrte die junge Frau mit aller Macht etwas ab. Die Donier zog die Decken zurück und bemerkte, dass Aylas gesamter Körper erstarrt war, eisig kalt und klamm, trotz der vielen Felle, die sie bedeckten.
»Füll etwas heißes Wasser in die Schüssel«, sagte sie zu dem jungen Mann. Mehrere Umstehende bemühten sich, ihm zu helfen.
Wenn sie der jungen Frau nichts Wärmendes einflößen konnten, mussten sie versuchen, Wärme von außen zuzuführen. Zelandoni warf Verbandsmaterial, das noch an der Bettstatt lag, in das dampfend heiße Wasser, drückte das Gewebe und die weichen Lederhäute aus und legte sie als warmen Wickel um Aylas Arm. Als sie einen weiteren Wickel um den zweiten Arm legen wollte, war der erste bereits völlig abgekühlt.
»Sorgt dafür, dass ständig heißes Wasser da ist«, befahl sie.
Sie löste die Kordel, die um Aylas Gewand geschnürt war, und mit Hilfe mehrerer Zelandonia, die den leblosen Körper anhoben, wickelte sie es ab. Dabei bemerkte sie, wie klug die Schnur die Hirschhaut festgehalten hatte. Und sie sah, dass Ayla darunter nicht völlig nackt war. Um ihren Unterleib hatte sie mehrere Riemen geschlungen, an denen das saugfähige, mit Binsenflaum ausgestopfte Lederpolster zwischen ihren Beinen befestigt war.
Entweder hat sie ihre Mondzeit, oder sie blutet noch von der Fehlgeburt, dachte Zelandoni. In jedem Fall aber bedeutet das, dass Laramar kein neues Leben in ihr begonnen hat. Instinktiv überprüfte sie, ob die Einlage gewechselt werden musste, aber offenbar war der Blutfluss beinahe versiegt, die Einlage war kaum beschmutzt.
Mit Hilfe einiger anderer Doniers legte sie immer wieder feuchtheiße, saugfähige Tücher und Häute auf Ayla, um die abgrundtiefe Kälte zu vertreiben, die die junge Frau umfing. Sie selbst hatte nur einen Anflug dieser inneren Kälte empfunden, doch genug, um zu wissen, wie kalt der neuen Zelandoni tatsächlich sein musste. Endlich, nach vielen heißen Wickeln, löste sich Aylas erstarrter Körper ein wenig, zumindest so weit, dass ihr Kiefer sich entkrampfte. Zelandoni hoffte, es wäre ein gutes Zeichen, konnte jedoch nicht gewiss sein. Eigenhändig deckte sie Ayla mit warmen Fellen zu; mehr konnte sie im Moment für ihren Schützling nicht tun.
Man brachte ihr ihren großen, kräftigen Schemel, und die Eine, Die Die Erste Ist, setzte sich an die Lagerstatt der jüngsten Zelandoni und bewachte sorgenvoll ihren tiefen Schlaf. Zum ersten Mal wurde sie des Gesangs gewahr, der seit Beginn der Zeremonie intoniert wurde und in den immer wieder neue Zelandonia einstimmten, während andere, deren Kraft erlahmte, verstummten.
Vielleicht sollten wir mehr Leute holen, damit sie den Gesang aufrechterhalten, wenn diese Wache zu lange währt. An das, was nach der Wache kommen würde, wollte Zelandoni nicht einmal denken. Geschah es doch, dann klammerte sie sich an die Hoffnung, dass Ayla früher oder später aufwachen und ihr nichts fehlen würde. Alles andere wäre unerträglich. Hätten mich diese unbekannten Wurzeln nicht so fasziniert, wäre ich dann vorsichtiger gewesen?, fragte die Erste sich. Als Ayla in der Höhle eintraf, wirkte sie ziemlich bekümmert und nervös, aber alle Zelandonia waren da und freuten sich auf diese ihnen fremde Zeremonie in der neuen Grotte. Die Erste hatte zugesehen, wie Ayla die Wurzeln scheinbar unendlich lange kaute und schließlich in die Schale mit Wasser spuckte, und da hatte sie beschlossen, selbst davon zu probieren.
Das war ihre erste Warnung. Die Wirkung, die dieser eine Schluck auf sie hatte, war weit stärker, als sie erwartet hatte. Danach hatte sie schlimme Momente erlebt, aber darüber war sie nun froh. Nur deshalb hatte sie jetzt eine Ahnung, was Ayla gerade durchmachte. Wer hätte gedacht, dass derart unscheinbare Wurzeln eine so
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