Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
heißes
Wasser. Kein Tee.«
Der Dritte, der Elfte und die Vierzehnte stellten sich zur
Ersten Unter Denen, Die Der Großen Erdmutter Dienen,
und mit vereinten Kräften gelang es ihnen, sie auf die Füße
zu stellen.
Die beleibte Frau taumelte trunken, stützte sich schwer
auf zwei Zelandonia und schüttelte den Kopf. Dann schloss
sie die Augen, ihr Gesicht verriet äußerste Konzentration.
Als sie wieder aufschaute, biss sie entschlossen die Zähne
zusammen, aber sie schwankte nicht mehr.
»Ayla braucht Hilfe«, sagte sie. »Meine Schuld. Ich hätte
es wissen müssen.« Noch fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren und klare Gedanken zu fassen, aber es tat ihr gut,
aufrecht zu stehen und sich zu bewegen. Ihr war kalt bis ins
Mark, und sie wusste, es war nicht nur die Kälte der Höhle.
»Zu kalt. Bringt sie raus. Feuer. Wärme.«
»Wir sollen Ayla aus der Höhle tragen?«, fragte die Vierzehnte.
»Ja. Zu kalt.«
»Sollen wir sie aufwecken?«, fragte der Elfte.
»Ich glaube nicht, dass das geht«, antwortete die Erste.
»Aber versucht es.«
Zuerst schüttelten sie Ayla sacht, dann heftiger. Sie regte
sich nicht. Sie sprachen sie an, dann schrien sie, aber Ayla
wachte nicht auf.
Der Zelandoni der Dritten Höhle fragte die Erste: »Sollen
wir weitersingen?«
»Ja! Singt! Nicht aufhören! Etwas anderes hat sie nicht!«,
rief die Erste.
Die höherrangigen Zelandonia gaben einige Anweisungen.
Plötzlich herrschte hektisches Treiben, mehrere Leute liefen nach draußen und zur Hütte der Zelandonia, einige entfachten ein Feuer, um Wasser zu erhitzen, und andere holten eine Trage, um die junge Frau aus der Höhle zu bringen. Die übrigen nahmen mit Inbrunst den Gesang wieder
auf.
Mehrere Menschen hielten sich in der Nähe der Zelandoniahütte auf. Für diesen Tag war eine Zusammenkunft aller
Paare geplant, die bei den späten Hochzeitsriten den Knoten knüpfen wollten, und die ersten fanden sich bereits ein,
darunter auch Folara und Aldanor. Als mehrere Zelandonia
angelaufen kamen, tauschten sie einen besorgten Blick. »Was ist passiert? Weshalb seid ihr in solcher Eile?«,
fragte Folara.
»Es ist die neue Zelandoni«, sagte ein junger Mann, einer
der neueren Gehilfen.
»Du meinst Ayla? Die Zelandoni der Neunten?«, fragte
Folara.
»Ja. Sie hat einen besonderen Trank aus irgendwelchen
Wurzeln bereitet, und die Erste hat gesagt, wir müssen sie
aus der Höhle tragen, weil es zu kalt ist. Sie wacht nicht
auf«, erklärte der Gehilfe.
In dem Moment vernahmen sie Geräusche und drehten
sich um. Zwei kräftige junge Doniers stützten die Erste auf
ihrem Weg von der Höhle zur Hütte der Zelandonia. Nur
mit Mühe konnte sie das Gleichgewicht bewahren und einen Fuß vor den anderen setzen, ohne zu stolpern. Folara
hatte Zelandoni nie derart unsicher erlebt. Eine Woge der
Angst ergriff sie. Die Eine, Die Die Erste Ist, war immer völlig gefasst und ruhig. Trotz ihrer Körperfülle hatte sie sich immer selbstbewusst und mühelos bewegt. Für die junge Frau war es schwer genug mitzuerleben, wie ihre Mutter langsam schwächer wurde. Noch mehr erschreckte es sie nun, die Frau, die sie als unerschütterliche Präsenz kannte, als Fels der Sicherheit und Stärke, plötzlich derart entkräf
tet zu sehen.
Als die Erste die Hütte erreichte, erschien auf dem Pfad,
der von der neuen Grotte herabführte, eine weitere Gruppe
Zelandonia. Sie trugen eine mit Fellen hoch aufgetürmte
Trage. Als die Gruppe näher kam, hörten Folara und Aldanor den unverkennbaren verwobenen Klang des Zelandonia-Gesangs. Dann kamen einige Doniers mit der Trage an
ihnen vorbei, und Folara sah die junge Frau, die sie als die
Gefährtin ihres Bruders kennengelernt und liebgewonnen
hatte. Aylas Gesicht war bleich, ihr Atem so flach, dass ihre
Brust sich gar nicht zu heben schien.
Folara war erschüttert, und Aldanor sah ihre Angst. »Wir
müssen Mutter holen, und Proleva und Joharran«, sagte
sie. »Und Jondalar.«
Zwar fiel es Zelandoni schwer, den Weg von der Grotte zur Hütte zurückzulegen, und ein wenig peinlich war es ihr auch, doch die Bewegung half ihr, den Nebel aus ihrem Kopf zu vertreiben. Dankbar ließ sie sich auf ihren großen, bequemen Hocker fallen und freute sich über den Becher mit heißem Wasser. Solange sie nicht klar denken konnte, hatte sie nicht gewagt, einen bestimmten Tee als Gegenmittel für die Wirkungen der Wurzeln vorzuschlagen, aus Angst, er könnte sie noch verstärken. Jetzt, da sie wieder klarer bei Sinnen war, auch wenn ihr Körper
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