Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
ausgelöst haben mochte, die in so augenfälligem Kontrast zu ihrem warmherzigen und gewinnenden Wesen stand. Sie blickte zu Zelandoni und begriff, dass die Erste es ebenfalls wissen wollte und herausfinden würde, bevor sie Sonnenblick verließen. Jonayla zappelte. Vermutlich wollte sie sehen, was hier vorging und mit wem ihre Mutter sprach. Ayla verschob die Tragedecke, damit die Kleine auf ihrer Hüfte sitzen konnte.
»Das muss dein >von Doni gesegnetes< Kind Jonayla sein«, sagte Danella.
»Ja.«
»Was für ein schöner Name. Nach Jondalar und dir?« Ayla nickte.
»Sie ist genauso schön wie ihr Name«, stellte Danella fest.
Wenngleich es nicht offensichtlich war, bemerkte Ayla im flüchtigen Stirnrunzeln der Frau einen Anflug von Traurigkeit. Und plötzlich war ihr der Grund für Danellas Zustand klar. Sie hatte vor kurzem wahrscheinlich eine Fehlgeburt erlitten oder ein totes Kind zur Welt gebracht. Vermutlich waren schon Schwangerschaft und Geburt schwierig gewesen. Sie litt noch unter ihrer körperlichen Erschöpfung und trauerte um das verlorene Kind. Die Erste musterte die junge Frau verstohlen und war womöglich auf den gleichen Gedanken gekommen.
Ayla spürte, wie sich Wolf an ihr Bein drückte. Er schaute zu ihr auf und stieß ein leises Jaulen aus, mit dem er sie wissen ließ, dass er etwas wollte. Er schaute zu Danella, dann wieder zu Ayla, und jaulte erneut. Spürte er, dass mit der Gefährtin des Anführers etwas nicht stimmte?
Wölfe reagieren immer empfindsam auf die Schwäche anderer. Wenn sie im Rudel jagen, greifen sie meistens die Schwachen an. Aber Wolf hatte eine besonders starke Bindung zu dem schwachen Halb-Clan-Kind entwickelt, das Nezzie adoptiert hatte, als Wolf noch sehr jung war und auf die Mamutoi als sein Rudel geprägt wurde. Er fühlte sich zu menschlichen Kindern hingezogen und zu allen, die seinem wölfischen Empfinden nach schwach waren, nicht um sie zu jagen, sondern um sich ihrer anzunehmen, wie es wilde Wölfe mit ihren Welpen taten.
Ayla spürte Danellas ängstliches Zögern. »Ich glaube, Wolf möchte dich kennenlernen, Danella. Hast du schon einmal das Fell eines lebendigen Wolfs berührt?«, fragte sie.
»Nein, natürlich nicht. Ich war einem Wolf noch nie so nahe. Warum meinst du, dass er mich kennenlernen will?«
»Manchmal fühlt er sich zu bestimmten Menschen hingezogen. Er liebt kleine Kinder, Jonayla krabbelt ständig auf ihm herum, und selbst wenn sie an seinem Fell zieht oder ihn in die Augen oder Ohren piekt, macht ihm das anscheinend nichts aus. Als wir damals zur Neunten Höhle kamen, hat er sich bei Jondalars Mutter genauso benommen. Er wollte Marthona einfach kennenlernen.« Ayla kam plötzlich in den Sinn, ob Wolf gespürt hatte, dass die Frau, die einst Anführerin der größten Höhle der Zelandonii gewesen war, ein schwaches Herz hatte. »Möchtest du gerne mit ihm bekanntgemacht werden?«
»Was muss ich tun?«, fragte Danella.
Die Besucher von Sonnenblick standen um sie herum und schauten zu. Diejenigen, die Wolf und sein Verhalten kannten, lächelten, andere waren gespannt, aber Stevadal, Danellas Gefährte, war besorgt.
»Ich weiß nicht so recht«, sagte er.
»Er wird ihr nichts tun«, versicherte ihm Jondalar.
Ayla reichte Jonayla an Jondalar weiter und führte Wolf zu Danella. Sie ergriff die Hand der Frau und begann mit Wolfs förmlicher Vorstellung.
»Wolf erkennt einen Menschen an seinem Geruch, und wenn ich ihn so vorstelle, weiß er, dass es ein Freund ist.« Wolf schnüffelte an Danellas Hand und leckte sie dann.
Sie lächelte. »Seine Zunge ist glatt und weich.«
»Sein Fell auch, an manchen Stellen«, sagte Ayla.
»Er ist so warm!«, staunte Danella. »Ich habe noch nie Fell an einem warmen Körper berührt. Und hier, an dieser Stelle, spürt man, dass etwas pocht.«
»Ja, so fühlen sich lebende Tiere an.« Ayla wandte sich an den Anführer der Sechsundzwanzigsten Höhle der Zelandonii. »Möchtest du Wolf ebenfalls vorgestellt werden, Stevadal?«
»Mach das ruhig«, sagte Danella.
Ayla verfuhr bei ihm genauso, doch Wolf war begierig, zu Danella zurückzukehren, und ging auf dem Weg nach Sonnenblick neben ihr her. Sie ließen sich nieder - auf Baumstämmen, gepolsterten Steinen, einige auf dem Boden. Die Besucher holten ihre Becher aus den an ihren Hüftriemen befestigten Beuteln. Der Tee wurde ihnen von den wenigen eingeschenkt, die nicht zum Sommerlager gegangen waren, unter ihnen die Mütter von Danella und Stevadal, die zurückgeblieben
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