Forschungsergebnissen zur visual literacy ist das durchaus glaubwürdig.
Und ebenfalls in den USA gibt es seit 2003 unter der Adresse http://www.altrue.net/altruesite/ files/notv613 eine Internet-Plattform »TV Boycott – Changing the way we look at television, one human beeing at a time«. Dort soll sich ein Netzwerk lokaler Gruppen gegen unerwünschte Formen und Inhalte des Fernsehens national organisieren. Man beginnt mit Aktionen auf lokaler Ebene, aus denen durch die Plattform gegebenenfalls auch nationale Maßnahmen entstehen. Eine der ersten Kampagnen war ein sechsmonatiger Nachrichtenboykott gegen die einseitige Berichterstattung über den Irakkrieg: »Der Nachrichtenboykott ist eine sechsmonatige Kampagne mit dem Ziel, die Zensur und die Einseitigkeit in den Nachrichten zu korrigieren. Indem wir auf die Geldflüsse der großen Networks, und insbesondere auf ihre Werbung, zielen, möchten wir sie daran erinnern, daß sie nicht nur ihren Stockholdern gegenüber verantwortlich sind, sondern auch den Eigentümern der öffentlichen Funkwellen, dem amerikanischen Volk«, heißt es dazu auf der Homepage (eigene Übersetzung).
Beides ist auch bei uns möglich: Elternbeiräte in Schulen und Kindergärten können ähnliche Aktionen wie in Farmington fordern und organisieren helfen, eine Internet-Plattform »TV-Boykott« wäre wünschenswert und – eventuell unter dem Dach von Verbraucherschutzverbänden – machbar. Darüber hinaus gibt es zahlreiche individuelle Aktionsmöglichkeiten. So hat jedes Bundesland eine Landesmedienanstalt, zu deren Aufgaben u. a. die Überwachung der bei ihnen lizenzierten privaten Medienorganisationen gehört. Das Aufsichts- und Kontrollorgan dieser Anstalten ist ein Medienrat, in dem die gesellschaftlich relevanten Gruppen wie Religionsgemeinschaften, Parteien, Gewerkschaften und andere Verbände vertreten sind. Hier kann jeder Zuschauer seine Unzufriedenheit mit Sendungen oder Programmen vortragen. Die öffentlich-rechtlichen Medienorganisationen haben ein ähnlich zusammengesetztes Gremium, den Rundfunkrat. Und schließlich kann man insbesondere die privaten Medienorganisationen an ihrer wichtigsten Existenzgrundlage treffen, dem Geld: Briefe an die im Umfeld unerwünschter Sendungen werbenden Firmen, man werde ihre Produkte nicht mehr kaufen, würden, kämen sie denn in großer Zahl, sicher Wirkung erzielen.
Zuletzt gibt es auch für den einzelnen eine Möglichkeit, gravierende mediale Fehlentwicklungen wenigstens zu verlangsamen: den juristischen Schritt. Nehmen wir nur das Beispiel der Gewaltdarstellungen. Nach § 131 des deutschen Strafgesetzbuchs ist die Herstellung und Verbreitung von Druckschriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen, Darstellungen und Rundfunksendungen, die zum Rassenhaß aufstacheln, grausame und unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen verherrlichen, verharmlosen oder in einer die Menschenwürde verletzenden Form darstellen, verboten (vgl. Branahl, 1992). Es steht jedem Zuschauer frei, etwa nach einem Film mit exzessiven Folterszenen bei der Polizei Anzeige gegen den jeweils verantwortlichen Intendanten oder Vorstandsvorsitzenden zu erstatten.
Wenn aber das Fernsehen – wie vorgetragen – nur eine Art Verstärker für individuelle und gesellschaftliche Fehlentwicklungen ist, dann reicht das nicht. Dann muß man bei den Ursachen ansetzen. Und die sind in den skizzierten gesellschaftlichen Veränderungen und den daraus resultierenden psychologischen Folgen zu suchen. Wenn Bindungsunsicherheit und Medialisierung also tatsächlich die Hauptursachen für das Entstehen eines neuen Sozialcharakters sind, dann wäre die einfachste Antwort: den Kapitalismus und das Fernsehen abschaffen. Ersteres scheitert (einstweilen) an konkreten Utopien für eine andere Gesellschaftsform, letzteres daran, daß es offenbar (einstweilen) keiner abschaffen will. Die Forderung zumindest hat der amerikanische Autor Jerry Mander schon 1978 (dt. 1979) mit seinem Buch Schafft das Fernsehen ab! gestellt. Um nun nicht in eine intellektuell zwar redliche, sozial aber fatale »Self-handicapping«-Haltung zu geraten, nach der man als einzelner viel zu unbedeutend sei, um irgend etwas verändern zu können, ist nach Handlungsmöglichkeiten unterhalb dieser beiden Forderungen zu fragen. Die Frage stellt sich so: Was schafft unter den gegebenen Umständen Bindungs sicherheit ?
Das ist zum einen das Leben in der Ehe und später in der Familie. Eine stabile und erfüllte Ehe zu
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