Von da an gingen die Lebenslinien der beiden Frauen auseinander, wobei die unterschiedliche soziale Herkunft eine Rolle gespielt haben wird: Marlene Dietrich kam aus einer preußischen Offiziersfamilie und stand vermutlich schon von daher dem Emporkömmling Adolf Hitler und seinen Parvenüs fern. Genau das – der kometenhafte Aufstieg des Adolf Schicklgruber vom erfolglosen Postkartenmaler zum strahlenden Führer des Deutschen Reichs – wiederum mag für die Tochter eines kleinbürgerlichen Installateurmeisters attraktiv gewesen sein. Wie auch immer, Leni Riefenstahl wurde das Zigeunermädchen Junta, die Dietrich die Nachtklubsängerin Lola Lola. Die in der mystischen Bergwelt der Dolomiten agierende, erotische, aber unerreichbare Junta paßte in den nationalsozialistischen Zeitgeist, die sündige, käufliche, aber letztlich auch unerreichbare Lola Lola der großen Städte nicht. Sie gefiel – nach einigen Retuschen – dafür um so besser als Vamp in Hollywood.
Ungewöhnliche Schicksale zweier letztlich vermutlich unglücklicher Frauen, die bei allen Unterschieden doch eines gemeinsam haben: Beide haben die Erfahrung großer Bindungsunsicherheit in einer medialisierten Welt gemacht, beide wurden zu histrionischen Charakteren, und beide wurden Stars. Biographische und nicht ideologische Unterschiede haben sie in ihrem politischen Engagement auf die eine oder andere Seite gebracht. Dort aber wurden beide zu millionenfach wirksamen Vorbildern, Galionsfiguren nicht nur der Unterhaltungsindustrie. Im Guten wie im Schlechten, der Histrio als politisch engagierter Star ist eine zwiespältige Figur.
4. Stars – Idole der Mediengesellschaft
Am 7. April 1930 betritt Marlene Dietrich in New York nicht nur erstmals amerikanischen Boden, sie ist auch erstmals mit einem anderen System der Filmproduktion konfrontiert. Bald schon spürt sie dessen Einfluß sehr konkret. Die Paramount will als Antwort auf den Erfolg der MGM mit Greta Garbo ein Konkurrenzprodukt »Marlene Dietrich« einführen. Marlene soll Rätselhaftigkeit, Verführung, Sehnsucht, Verwundbarkeit und Überdruß verkörpern. Das erfordert allerdings einige Korrekturen an ihrem Äußeren: Zuerst einmal wird sie um drei Jahre jünger gemacht, dann muß sie 30 Pfund abnehmen, ihre Haare blonder färben, die Augenbrauen höher legen und die Wimpern verlängern. Und als Höhepunkt soll sie sich zwei Backenzähne ziehen lassen, um ihre Wangen schmaler zu machen. Bevor sie überhaupt in den amerikanischen Kinos zu sehen ist, läßt ihr neuer Arbeitgeber schon auf Plakaten und Anzeigen verbreiten: »Der neue Star der Paramount – Marlene Dietrich« (vgl. Knopp, 2001).
Das Starsystem (»stardom«) war eine Erfindung Hollywoods. Bis zum Jahr 1909 kannte das Publikum nicht einmal die Namen der Filmschauspieler, es nannte sie nach den Studios das »Vitagraph Girl«, das »Kalem Girl« oder das »Biograph Girl«. Der Produzent Carl Laemmle, Eigentümer der Independent Motion Picture Company (IMP), spürte aber schon früh das Interesse des Publikums für die Schauspieler hinter den Rollen. So inszenierte er im Jahr 1910 ein PR-Ereignis, das als die Geburtsstunde des stardom-Systems gesehen wird: Er ließ in den Zeitungen von St. Louis die Meldung verbreiten, das »IMP Girl«, dessen Namen er mit Florence Lawrence angab, sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Nachdem diese Meldung gedruckt worden war, setzte er eine Anzeige in die Zeitung: Das Publikum sei einer Falschmeldung aufgesessen, tatsächlich lebe Florence Lawrence, und ihr nächster Film heiße The broken path. Die Zeitungen brachten ihrerseits entsprechende Meldungen, verbunden mit einem Foto von und einem Interview mit der fälschlich Totgesagten. Als Florence Lawrence danach in der Öffentlichkeit auftrat, wurde sie von der Menge gefeiert.
Der Hintergrund für das erwachende Interesse des Publikums an den Schauspielern bestand darin, daß ab 1912 zunehmend längere, abendfüllende Spielfilme produziert wurden. Damit bekamen die eingesetzten Schauspieler eine neue Funktion, der Zuschauer litt oder freute sich eine oder zwei Stunden mit ihnen. Von da an wurden die Akteure in der Filmwerbung auch namentlich genannt, was mit dazu beitrug, daß das Publikum seine Lieblinge nicht nur sehen, sondern auch etwas über deren Privatleben wissen wollte. Die Produktionsgesellschaften bemerkten anhand von Fanpost und von Autogrammwünschen das zunehmende Publikumsinteresse an den Schauspielern. Und sie
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