erschien es Margaret mit einem Male, als hätte der Raum die Ausmaße eines Eisenbahnabteils, eine Ähnlichkeit, die durch die eigentümliche Position der Fenster, je eines an jedem Ende, noch gesteigert wurde. Die Fenster altmodischer Eisenbahnwaggons waren gewöhnlich vergittert, Margaret war gerade alt genug, um das zu wissen. Diese Erinnerung tröstete sie mehr, als eigentlich vernünftig war.
Margaret, die sich etwas entspannte, bemerkte, daß sie reglos dagesessen hatte. Ihre Muskeln waren steif, und sie konnte ihren Herzschlag und Puls hören, es war schwer zu sagen, ob sie in gewohnter Weise weiterschlugen. Sie mußte geraume Zeit in einem Zustand verharrt haben, der gelähmtem Entsetzen gleichkam. Doch beider einzige Uhr befand sich an Mimis Handgelenk, ihre eigene war gestohlen worden, als sie sich die Hände auf der Damentoilette eines Restaurants gewaschen hatte, in das sie ihr Vater zum Geburtstag ausgeführt hatte.
Zu alledem war ihr kälter denn je. Sie nahm einen Pullover aus ihrem Rucksack und zog ihn an. Er hatte einen V-Ausschnitt und lange Ärmel. Die Wärme seiner eleganten, dichtmaschigen, schwarzen Wolle war wohltuend. Ehe sie wieder hinunterging, rückte Margaret die Lampe zurecht, die im Zimmer aufgestellt worden war. Dabei kam ihr Ropers Bemerkung in den Sinn, wonach der ganze erste Stock von der Sammlung seines Großvaters eingenommen wurde, was das Benehmen der Frau, die sie gesehen hatte, aus irgendeinem Grund nicht weniger beunruhigend erscheinen ließ. Doch eine Minute später überquerte sie entschlossen den Treppenabsatz des ersten Stocks, natürlich ohne irgendwelche Nachforschungen anzustellen, und gelangte zur Tür des grotesken Wohnzimmers, ohne daß (wie sie einigermaßen überrascht feststellte) etwas besonderes vorgefallen wäre.
Sobald sie aber eingetreten war, wurde deutlich, daß sich die Atmosphäre in dem Raum merklich geändert hatte, seitdem sie gegangen war. Ihre Ängste wurden abgeschnitten wie bei einem Einstellungswechsel im Film, um durch ein verwirrendes Gefühl ersetzt zu werden, das ebenso heftig und unbestimmt war wie die ganz andersartigen Empfindungen, die die kurze Zeitspanne zwischen der flüchtigen Erscheinung der Frau auf der Treppe und dem Erreichen des Stuhls in ihrem Zimmer begleitet hatten. Nicht allein, daß Mimi und Roper jetzt nebeneinander auf dem riesigen Ledersofa vor dem kalten Kamin saßen; Margaret spürte sogar, daß sie auf geschmacklose Weise voneinander abgerückt waren, als sie ihr Kommen gehört hatten.
»Hallo«, sagte Mimi keck. »Du warst lange weg.«
Einen Augenblick lang war Margaret versucht, der Situation eine Wendung nach ihrem Sinn zu geben (wie sie glaubte, daß es geschehen würde), indem sie von den Gründen für ihre lange Abwesenheit berichtete; was das Geheimnis um Miss Roper anging, gelang es ihr indes, sich zurückzuhalten.
War es möglich, daß Miss Roper überhaupt nicht tot war, fragte sie sich unvermittelt.
»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, gab sie in Mimis Tonart zurück.
»Ich hoffe, Sie haben den Weg gefunden«, sagte Roper höflich.
»Kein Problem, vielen Dank.«
Eine kurze Stille trat ein.
»Beech ist leider bereits zu Bett gegangen, sonst würde ich Ihnen beiden noch etwas anbieten. Ich habe keinen weiteren Diener.«
Nachdem die erst Welle von Übelkeit in ihr aufgestiegen war, gab sich Margaret die allergrößte Mühe, ihre Fassung zu bewahren.
»Leben Sie hier allein mit Beech?«
»Ganz allein. Deshalb ist es so erfreulich, Sie beide hier zu haben. Ich sagte schon zu Mimi, daß ich sonst nur meine Bücher habe.«
Es war das erste Mal, daß Margaret ihn den Vornamen nennen hörte. »Er lebt das Leben eines Einsiedlers«, ergänzte Mimi. »Forschung, weißt du. Ein Hundeleben, wenn du mich fragst. Schlimmer als unseres.«
»Woran arbeiten Sie?« fragte Margaret.
»Kannst du’s nicht erraten, Schätzchen?« Mimi fühlte sich inzwischen außerordentlich wohl.
»Eisenbahnen, fürchte ich. Eisenbahngeschichte.« Roper lächelte ein Gelehrtenlächeln, müde und tadelnd, doch zugleich von außerordentlicher Arroganz. »Als einem Roper liegt einem das halt im Blut. Ich zeigte Mimi gerade dies hier.« Er hielt ein Buch in dunkelgrünem Schutzumschlag hoch. »›Early Fishplates‹«, las Margaret, »von Howard Bullhead.« Das Werk schien überaus ausführlich und äußerst technisch. Hier und da war das Buch mit nüchternen kleinen Zeichnungen geschmückt.
»Was hat das mit
Weitere Kostenlose Bücher