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Pünktlichkeit in solchen Fällen.
    Er war bereits mehrere Schritte weit gegangen, als sie ihren Satz beendet hatte. Nun verharrte er und wandte sich halb zu ihr um. Er sah sie eine Weile lang an, drehte sich dann wieder um und setzte seinen Weg wortlos fort. Noelle mußte später einräumen, daß ihr sofort ein Unterschied zwischen der Körperhaltung dieses Mannes und der Körperhaltung von Männern im allgemeinen aufgefallen war. Es schien beinah so, als würde der Mann schweben oder gleiten, so wohlgesetzt waren seine Schritte.
    Der Mann verschwand mit anmutigen und eindrucksvollen Schritten in der Waldung zu ihrer Rechten. Dort waren Unterholz und Buschwerk ziemlich dicht, so daß er bald nicht mehr zu sehen war. Noelle hörte, wie Zweige und Äste unter seinen braunen Schuhen zerbrachen, worunter zweifellos ihr Hochglanz litt. Vermutlich kämpfte er sich durch das Unterholz, schien dabei aber sehr zügig voranzukommen, und kurz darauf war nichts mehr von ihm zu hören.
    Noelle gab ihm vier unbehagliche Minuten und stand dann ihrerseits auf. Sie rief laut: »Ich werde mich auf den Weg machen müssen. Ich muß gehen.«
    Es kam keine Antwort; kein Anzeichen oder Geräusch. »Wo sind Sie?« Nicht einmal ein Specht ließ sich hören.
    Noelle rief jetzt sehr viel lauter: »John! John, ich muß gehen!«
    Damit waren alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Es war nicht von ihr zu erwarten, daß sie den Rest des Nachmittags nach ihm rufen würde oder einen Eine-Frau-Suchtrupp zusammenstellte. Es kam wohl kaum in Frage, daß der Mann sich verirrt hatte, wie sie bereits erkannt hatte. Also blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie ging rasch nach Hause, ihre Gedanken und Gefühle waren in Aufruhr.
    Als sie angekommen war, beherrschte sie nur ein Wunsch: daß der Mann, sofern er auf die eine oder andere Weise wieder aus dem Wald auftauchte, nicht in ihrem Hause erschiene, wenn die Kinder beim Tee saßen.
     
    Er erschien nicht wieder. Aber Noelles Nerven flatterten, bis sie sich in ihrem separaten Bett zur Ruhe begab.
    Am nächsten Morgen telephonierte sie mit Mut. Ihr war nicht danach gewesen, solange die Kinder sich noch im Haus befanden.
    »Dieser Mann auf eurer Party. John Morley-Wingfield. Erzähl mir von ihm.«
    »John Morley war so eine Art Politiker des 19. Jahrhunderts, meine Liebe. Er schrieb die Biographie von Gladstone; auf seine Art ein gutes Buch.«
    »Bestimmt. Aber es geht um einen anderen Mann.«
    »Es geht immer um einen anderen Mann, meine Liebe.«
    »Ich spreche von dem John Morley-Wingfield, der auf eurer Party war.«
    »Nie gehört, meine Liebe. Ich kenne die Hälfte der Leute nicht mal mit Namen. Möchtest du, daß ich Simon frage, wenn er zurückkommt?«
    »Ich denke schon. Etwas ziemlich Komisches ist passiert. Ich erzähle es dir, wenn wir uns sehen.«
    »Was ist er denn für ein Typ?«
    »Zuvorkommend und kompetent. Wie ein Diplomat.«
    »Auf unserer Party?«
    »Ich bin ziemlich gut mit ihm ausgekommen.«
    »Das Problem mit dir ist, daß du deine eigene Stärke nicht kennst. Aber was soll’s. Ich habe den Namen notiert. Ich werde Simon fragen. Aber freu dich nicht zu früh. Was gibt’s Neues von Melvin?«
     
    Zur Freude gab es schließlich überhaupt keine Veranlassung, denn einige Zeit ließ sich Mut nicht mehr darüber vernehmen, und Noelle ließ das Stadium der Wißbegier rasch hinter sich. Sie machte sich klar, daß man häufig Männer halbwegs kennenlernt, die es sich dann bald anders überlegen, und zwar aus dem einen oder anderen von diversen Beweggründen, die für einen selbst nicht unbedingt von Nachteil sind. Nichts im mindesten Ungewöhnliches war geschehen.
    Tatsächlich war der einzige Effekt, daß Noelle sich scheute, im Wald spazierenzugehen; nicht nur in dem Wald direkt vor ihrer Tür, sondern auch in allen anderen Wäldern der Umgebung. Einige davon waren ohnehin nur Fleckchen widerborstiger Wildnis voller Gestrüpp und Dornbüschen; kaum lohnenswert, wenn einem gar nichts anderes übrigblieb.
    Doch eines Sonntags, vier oder fünf Monate später, schlug Melvin einen Spaziergang mit den Kindern vor. Der Grund war, daß sie den Wagen an einen Geschäftsfreund verliehen hatten, dessen eigener offenbar gestohlen worden war; und Noelle hatte darauf vergessen, den Zweitwagen anzumelden. Melvin hatte sehr verständnisvoll reagiert, wie er es immer tat, immer.
    »Gib mir nur ein paar Minuten, um meine Sachen zusammenzusuchen«, sagte Melvin.
    Noelle wußte, was das hieß, und kleidete sich

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