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gebrauchen, über Botanik.
    Wir gingen auf eine ganz gewöhnliche Schule, und Sex beschäftigte uns sehr. Sallys Einstellung dazu war verblüffend und ungewöhnlich. Schließlich bat sie mich ausdrücklich, den anderen nicht weiterzusagen, was sie mir eben eröffnet hatte.
    »Wo denkst du hin«, antwortete ich herausfordernd, aber immer noch nachdenklich.
    Und tatsächlich erzählte ich erst sehr viel später jemandem davon, als ich feststellte, daß ich von Sally Dinge erfahren hatte, die überhaupt niemand außer mir zu wissen schien, Dinge, die für sich genommen mein Leben nicht wenig beeinflußt haben, wie ich manchmal glaube. Ich habe einmal nachzurechnen versucht, wie alt Sally zum Zeitpunkt dieses Gesprächs war. Sie kann kaum mehr als fünfzehn Jahre alt gewesen sein.
    Schließlich gewann Sally ihr Universitätsstipendium, und ich scheiterte knapp, gewann aber den Essay-Preis in Englisch sowie die Medaille für gute Führung, die mir eher wie ein Stigma vorkam (und auch jetzt noch vorkommt), wobei ich mich mit dem Gedanken tröstete, daß sie eher meinem erfolgreichen Vater als mir verliehen worden war. Sallys Betragen war jedenfalls weit besser als meines, nämlich nichts weniger als untadelig. Ich hatte mich in der Absicht für das Stipendium beworben, meine Prüfer, hätte ich es denn wider Erwarten gewonnen, zu drängen, es Sally zuzuerkennen, die es wirklich brauchte. Als sich dieser zweifellos unpraktische Plan als unnötig erwies, brachen Sally und ich zu getrennten Ufern auf, sie zu ihren intellektuellen Triumphen, ich zu meinen weniger bedeutenden Leistungen. Wir korrespondierten zwischenzeitlich, aber mit abnehmender Tendenz, da das Feld unserer gemeinsamen Interessen immer kleiner wurde.
    Am Ende verlor ich sie für einen beträchtlichen Zeitraum völlig aus den Augen, obwohl ich im Laufe der Jahre gelegentlich Rezensionen ihrer gelehrten Bücher las und ihren Namen in Leitartikeln über den Altphilologen-Verband und ähnliche unverzichtbare Körperschaften erwähnt fand. Ich hielt es für ausgemacht, daß wir Schwierigkeiten haben würden, uns überhaupt noch zu verständigen. Mir entging nicht, daß Sally nicht heiratete. Kein Wunder, dachte ich und gab mich albernen und gehässigen Spekulationen hin ...
    Als ich einundvierzig war, geschahen zwei Dinge, die für diese Erzählung von Bedeutung sind. Das erste war, daß eine Katastrophe über mich hereinbrach, die dazu führte, daß ich wieder bei meinen Eltern einzog. Einzelheiten tun nichts zur Sache. Das zweite war der Tod von Dr. Tessler.
    Ich hätte vermutlich auf jeden Fall von Dr. Tesslers Ableben gehört, denn meine Eltern, die ihn – wie ich und die übrigen Nachbarn auch – nie persönlich kennenlernten, hatten ihm gegenüber immer eine milde Neugier gehegt. Es trug sich zu, daß ich in dem Moment davon erfuhr, als ich den Trauerzug sah. Ich machte Besorgungen für meine Mutter und dachte über die Widrigkeiten des Lebens nach, als ich bemerkte, wie der alte Mr. Orbit seinen Hut, den er beim Bedienen der Kunden immer aufbehielt, abnahm und den Kopf zu einem kurzen Gebet senkte. Durch das Sortiment diverser Körnerkost im Fenster sah ich die Umrisse eines sehr altmodischen und reichgeschmückten, pferdebespannten Leichenwagens vorüberziehen, darauf ein Sarg, der in ein Leichentuch aus abgewetztem Purpur samt gehüllt war. Trauergäste schienen indes gänzlich zu fehlen.
    »Hätte nie geglaubt, daß ich noch mal ‘nen Leichenwagen mit Pferd zu sehen kriege, Mr. Orbit«, bemerkte die alte Mrs. Rind, die vor mir anstand.
    »Wird wohl ein Armenbegräbnis sein«, meinte ihre Freundin, die alte Mrs. Edge.
    »Schluß damit!« sagte Mr. Orbit mit einiger Schärfe und stülpte seinen Hut wieder auf. »Das ist Dr. Tesslers Begräbnis. Kann mir nicht denken, daß er Angehörige hat, die sich darum kümmern.«
    Ich glaube, die drei alten Leute steckten daraufhin ihre weißen Köpfe zusammen und begannen eine geflüsterte Unterhaltung; ich selbst war bereits, kaum daß ich den Namen hörte, auf dem Weg zur Tür. Ich blickte hinaus. Der gewaltige altertümliche Leichenwagen – nicht einmal voluminöse schwarze Federbüsche fehlten – wirkte viel zu protzig für die schmale herbstliche Straße. Es erinnerte mich an Spielzeuge verschiedener Größe, die nicht zueinander paßten. Jetzt sah ich, daß an Stelle von Trauergästen eine Bande von Straßenjungen, im schwindenden Licht nur schemenhaft erkennbar, johlend und spottend hinter der Bahre

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