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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
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können?
    Unsere Augen trafen sich. Sie sah, daß sie ohne Umwege zur Sache kommen mußte.
    »Ich habe mein Haus verkauft.«
    Ich blieb gelassen. »Ich habe ja gesagt, daß es zu groß für dich ist. Komm herein.«
    Sie trat ein.
    »Ich habe eine Villa gekauft. Auf den Kykladen.«
    »Um zu arbeiten?«
    Sie nickte. »Das Haus hat mir natürlich einiges eingebracht. Und mein Vater hat mir mehr hinterlassen, als ich erwartet hatte.«
    Ich sagte irgend etwas Banales.
    Und schon streckte sie sich auf dem großen Sofa aus und sah mich über ihren Arm hinweg an. »Mel, ich möchte, daß du mitkommst und bei mir bleibst. Lange. So lange du kannst. Du bist dein eigener Herr, und es kann nicht dein Wunsch sein, hierzubleiben.« Psychologen haben, wie ich mich erinnerte, herausgefunden, daß die relative Unterlegenheit von Frauen in Dingen, die man als ›rein intellektuell‹ bezeichnet, auf die größere Entmutigung und Unterdrückung ihrer Neugier in der Kindheit zurückgeführt werden kann.
    »Danke, Sally. Aber ich bin hier ganz zufrieden.«
    »Bist du nicht. Sei ehrlich, Mel.«
    »Nein. Bin ich nicht.«
    »Also?«
    Eines Tages werde ich wahrscheinlich gehen.
     
     

Die Fremdenführer
    J
    ohn Trant betrat die Kathedrale St. Bavo fast genau um 11.30 Uhr.
    Er hatte unerwartet eine Woche Urlaub nehmen können, die er in Belgien verbrachte, weil Belgien nicht weit war und die Saison zu Ende ging, und weil er noch nie dort gewesen war. Trant, der unverheiratet war (obwohl er die Absicht hatte, eines Tages zu heiraten), reiste allein, aber er fühlte sich dabei selten einsam, denn er hielt seine Vereinzelung für selbstgewählt und betrachtete sie eher als Freiheit. Er zählte zweiunddreißig Jahre und sah sich als einen Durchschnittsmenschen, ausgenommen vielleicht eben seine Art zu reisen, die seiner Meinung nach ernsthafter und systematischer war als die der meisten.
    Die Uhrzeit, zu der er die Kathedrale betrat, war von Bedeutung, weil ihn in anderen Städten die merkwürdige kontinentale Sitte gestört hatte, Sehenswürdigkeiten zwischen 12 und 14 Uhr zu schließen, sogar große Kirchen. Tatsächlich war er sich unschlüssig gewesen, ob er die Kathedrale überhaupt besichtigen sollte, da ihm nur so wenig Zeit blieb. Man konnte nicht einmal von der halben Stunde ausgehen, da die Besucher für gewöhnlich bereits eine ganze Weile vor der tatsächlichen Schließung hinauskomplimentiert wurden. Es war ein stiller Morgen, völlig windstill, aber bedeckt. Man könnte sagen, die Menschen hatten begonnen, auf den Jahresausklang zu warten. Was Trant am meisten beeindruckte, als er das gewaltige Gebäude betrat, war der Anschein von Stille, von Leere in seinem Innern. Andere belgische Kathedralen hatten stets zwanzig oder dreißig betende oder zumindest knieende Menschen, gewichtig schreitende Priester mit Meßdienergefolge und natürlich Amerikaner beherbergt. Immer hatte es unwürdige Hast, rituelle Geschäftigkeit und gereckte Hälse gegeben. Hier aber gab es niemanden, außer denen natürlich, die in ihren Gräbern ruhten. Trant fragte sich, ob die Ortskundigen nicht vielleicht wüßten, daß es sich bereits nicht mehr lohnte, die Kirche aufzusuchen.
    Er lehnte sich an eine Säule am westlichen Ende des Mittelschiffs, wie er es immer tat, und informierte sich in seinem Reiseführer über die Geschichte der Kathedrale. Er wählte diesen Standort, um bei der Lektüre des nächsten Kapitels, der Architekturübersicht, den vorteilhaftesten Rundblick zu haben. Nichtsdestoweniger stellte er für gewöhnlich fest, daß er sich bald wieder in Bewegung setzen mußte, wenn er den Ausführungen des Reiseführers folgen wollte, da nur wenige Kathedralen es gestatten, daß ein Neuling von einem einzigen Punkt aus ihre Architektur, und sei es nur in den Grundzügen, erfaßt. So war es auch jetzt: Trant bemerkte, daß er den Faden verlor, und beschloß, der Richtschnur des Reiseführers zu folgen. Zuvor warf er noch einen kurzen Blick in die Runde. Die Kathedrale schien immer noch verlassen zu sein. Es war eigenartig, aber eine sehr angenehme Abwechslung.
    Trant bewegte sich nun parallel zum südlichen Seitenschiff vorwärts und hielt dabei den Reiseführer wie ein Brevier. »Eichenholzkanzel mit Schnitzereien«, vermeldete das Buch, »und mit Marmorbildwerk, sämtlich von Laurent Delvaux.« Trant hatte die Kanzel undeutlich aus der Ferne wahrgenommen, aber als er den Blick von dem Buch hob und sie bewußt ins Auge faßte, bemerkte er etwas

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