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Schriftstellerin. Ist dir bis jetzt noch nicht aufgefallen, daß das Leben aller Menschen voll ist von Angelegenheiten, die du nicht verstehen kannst? Es ist die Ausnahme, wenn du etwas davon verstehen kannst. Ich erinnere mich an einen Mann, den ich kennenlernte, als ich das erste Mal in London war ...« Er brach ab. »Aber glücklicherweise müssen wir nicht verstehen. Und aus diesem Grunde haben wir kein Recht, das Leben anderer Leute allzu genau unter die Lupe zu nehmen.«
    Ganz und gar verblüfft schwieg ich. Mein Vater klopfte mir auf die Schulter. »Man kann sich doch einbilden, Dinge zu sehen, wenn das Licht nicht besonders gut ist. Vor allem ein künstlerisch begabtes Mädchen wie du, Mel.«
    Selbst von meinen Eltern ließ ich mich gelegentlich noch gern als Mädchen ansprechen.
    Als ich in mein Zimmer hinaufging, fiel mir ein, daß ich wieder etwas vergessen hatte. Diesmal waren es die »paar Sachen« für Sally.
     
    Natürlich kam Miss Garvice sofort darauf zu sprechen.
    »Es tut mir sehr leid. Ich habe es vergessen. Das muß wohl am Regen gelegen haben«, redete ich drauflos, mich wie eine Halbwüchsige vor einer Respektsperson entschuldigend.
    Miss Garvice schnalzte kaum vernehmbar mit der Zunge. Aber ihre Gedanken waren woanders. Sie ging zur Tür ihres Zimmers.
    »Serena!«
    »Ja, Miss Garvice?«
    »Ich möchte ein paar Minuten nicht gestört werden, ja? Ich sage wieder Bescheid.«
    »Ja, Miss Garvice.« Serena verschwand und schloß die Tür mäuschenstill. »Ich will Ihnen etwas Vertrauliches mitteilen.«
    Ich lächelte. Vertraulichkeiten mit Vorankündigung sind selten der Rede wert.
    »Sie kennen unsere Routinemaßnahmen. Wir haben verschiedene Untersuchungen bei Sally durchgeführt. Eine davon machte uns stutzig.« Miss Garvice zündete ein Streichholz an der Reibfläche des Raucher-Sets an, das auf ihrem Schreibtisch stand. Einen Moment lang vergaß sie die dazugehörige Zigarette. »Wußten Sie, daß Sally schwanger war?«
    »Nein«, erwiderte ich. Aber es war vielleicht eine Erklärung. Für ein paar Dinge. »Normalerweise würde ich Ihnen das natürlich gar nicht sagen. Oder jemand anders. Aber Sally ist dermaßen hysterisch. Sie sagen, Ihnen sind keine Angehörigen bekannt?«
    »Keine. Was kann ich tun?«
    »Ob Sie wohl in Betracht ziehen könnten, sie bei sich aufzunehmen? Natürlich nicht sofort. Wenn wir sie entlassen. Sally wird eine Freundin brauchen.«
    »Sie wird nicht kommen. Zumindest wollte sie das nicht. Ich habe sie bereits dazu bewegen wollen.«
    Jetzt paffte Miss Garvice den Rauch aus wie eine Lokomotive. »Warum denn das?«
    »Ich fürchte, das ist meine Sache.«
    »Sie wissen nicht, wer der Vater ist?«
    Ich sagte nichts.
    »Es ist ja nicht so, daß Sally ein junges Mädchen wäre. Um ganz offen zu sein, manches an ihrem Zustand gefällt mir nicht.«
    Nun war es an mir, eine Frage zu stellen.
    »Und der Unfall? Hat er Schaden angerichtet?«
    »Seltsamerweise nicht. Es ist nicht weniger als ein Wunder; auf die eine oder andere Weise«, sagte Miss Garvice und bemühte sich um einen verständnisvolleren Gesichtsausdruck.
    Ich hatte das Gefühl, daß zwischen uns keine weiteren Fortschritte zu erwarten waren. Ich versicherte Miss Garvice, daß ich Sally zu gegebener Zeit noch einmal einladen würde, und fragte erneut, ob ich sie sehen könnte.
    »Tut mir leid. Aber Besuch steht für Sally nicht zur Debatte.«
    Ich war froh, daß Miss Garvice nicht auf das Thema der ›paar Sachen‹ für Sally zurückkam, obwohl ich mir Vorwürfe machte, weil ich nicht daran gedacht hatte; besonders weil ich nicht den Wunsch hatte, deswegen noch einmal zurückzukehren. Es war nicht daran zu denken, Miss Garvice meine wahren Beweggründe zu erläutern, und die Loyalität gegenüber Sally galt mir noch immer viel; aber es mußte eine Lösung gefunden werden. Ich durfte darüber hinaus keine Schritte unternehmen, die dazu führen mochten, daß jemand anders zu Sallys Haus geschickt wurde. Das beste, was mir einfiel, war, ein paar meiner eigenen ›Sachen‹ auszusuchen und zu behaupten, sie gehörten Sally. Es wäre an Sally, den Ersatz zu akzeptieren.
    Aber die Frage, die sich mir am nächsten Morgen aufdrängte, war, ob der Verunreinigung von Sallys Haus durch Maßnahmen im Hause selbst ein Ende gesetzt werden konnte – und ob sie womöglich einen Einfluß auf die Außenwelt ausübte. Sallys rätselhafte Unrast, von der Miss Garvice berichtet hatte, war alles andere als beruhigend, aber im ganzen

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