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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
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jedenfalls kam es mir so vor, als ich unversehens auf eine Art kleinen Jahrmarkt stieß. Da ich die Stadt überhaupt nicht kannte, war ich in das Abrißviertel droben beim alten Kanal geraten. Die Durchgangsstraßen waren ziemlich großzügig angelegt, aber sie waren für den Tagesverkehr zu den verschiedenen Fabriken und Bahnhöfen gebaut und lagen nun still und verlassen da, von vereinzelten Lastwagen und den Jungen und Mädchen abgesehen, die an der ein oder anderen Straßenecke herumtollten. In den engen Seitenstraßen gab es Reihen kleiner Häuser, viele davon leer, mit zerbrochenen Fensterscheiben oder mit Brettern vernagelt, die Dächer löchrig. Ich hätte wohl kehrtgemacht, wäre da nicht der Klang des Jahrmarkts gewesen – keine Popsongs aus Lautsprechern, auch kein Gehämmer alter Dampforgeln, eher ein helles Klimpern, das irgendwie zu dem milden Abend und der rosigen Dämmerung passen wollte. Zuerst konnte ich nicht herausfinden, um was für ein Geräusch es sich handelte, aber ich hatte ganz und gar nichts Besseres zu tun und durchforschte die verlassenen Gassen, um der Sache auf den Grund zu gehen.
    Es stellte sich heraus, daß es ein sehr kleiner Jahrmarkt war, nur ein halbes Dutzend Buden, wo ein paar Kinder Ringe warfen oder mit Spielzeuggewehren schossen, zwei oder drei überdachte Stände und in der Mitte schließlich ein winziges Karussell. Von dort kam die Klimpermusik. Das Karussell war auch hübsch anzusehen, mit einer Schneekönigin und Puderzuckereffekten in der Mitte und verschiedenfarbigen Schlittengondeln, die im Kreis darum herumfuhren, jede für zwei Personen und jede nach meiner Erinnerung mit einem bunten Licht an der Spitze. Und in der Mitte stand ein sehr hübsches blondes Mädchen in einer Art Clownskostüm. Jedenfalls hielt ich sie damals für sehr hübsch. Ihre Aufgabe war es, das Geld von den Leuten, die mit den Gondeln fuhren, zu kassieren; bedauerlicherweise aber tat das niemand. Nicht einer. Überhaupt waren nicht viele Leute zu sehen, und daher fiel mir das Mädchen zwangsläufig auf. Ich muß wohl wie ein Idiot ausgesehen haben, weil ich niemand für eine Fahrt mit dem Karussell bei mir hatte, also wandte ich mich einfach ab. Ich hätte mich nicht getraut, das Mädchen selbst zu einer Fahrt einzuladen. Das hätte man ihr wahrscheinlich sowieso nicht erlaubt; es sei denn, das Karussel gehörte ihr selbst.
    Der Rummelplatz war auf einem freien Stückchen Land aufgeschlagen worden, frei, weil die Häuser, die einmal dort gestanden hatten, abgerissen worden oder ganz einfach eingestürzt waren. Hohe, nackte Fabrikmauern ragten an zwei Seiten auf, und der Boden war so holprig und uneben, daß man wie auf Felsgeröll an der Küste ging. Es war nichts Beständiges an diesem Jahrmarkt. ›Heute hier, morgen dort‹, hätte das Motto lauten können. Vermutlich gab es nicht einmal eine Konzession für das Aufstellen der Buden und Wagen, und ich zweifelte sehr daran, ob irgendeine Übereinkunft über die Benutzung von Grund und Boden getroffen worden war. Ich dachte sofort daran, wie hart das Leben für die Besitzer sein mußte. Man sah förmlich, warum Jahrmärkte wie dieser seit den Tagen meiner Großmama, die immer von den wunderbaren Jahrmärkten und Zirkusvorstellungen ihrer Kinderzeit gesprochen hatte, weithin ausgestorben sind. Bei den anwesenden Kunden handelte es sich fast ausschließlich um Kinder, allerdings verfügen ja Kinder heutzutage über das meiste Geld. Diese Kinder verpraßten viel Geld an einer winzigen Bude, wo eine schlampig aussehende Frau Eiskrem und Paradiesäpfel verkaufte. Es wäre, dachte ich, weitaus einfacher und einträglicher gewesen, sich ganz darauf zu verlegen und sich der Gastronomie zuzuwenden, anstatt den Versuch zu unternehmen, Leute zu unterhalten, die es vorzogen, sich in ihren eigenen vier Wänden zu vergnügen. Aber höchstwahrscheinlich war ich an diesem Abend in einer düsteren Gemütsverfassung. Der Jahrmarkt war hübsch und altmodisch, aber man konnte nicht behaupten, daß er einen aufheiterte.
    Das Mädchen auf dem Karussell konnte mich noch sehen und blickte mir sicherlich vorwurfsvoll und wohl auch geringschätzig nach. Sie stand in der Mitte der Anlage und konnte unmöglich dort weg. Ich hätte mich einfach davongemacht, zumal die Leute in den Buden alle anfingen, nach mir, dem womöglich einzigen Erwachsenen in Sichtweite, zu rufen, wenn ich nicht auf einen Stand so ziemlich im äußersten Winkel der zusammenstoßenden Fabrikmauern

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