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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
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Sandy«, bat Mrs. Slater.
    Obwohl es einem nicht sofort auffiel, stimmte irgendetwas mit den Gestalten auf der Terrasse nicht. Für einen flüchtigen Beobachter wären sie eine absolut durchschnittliche Versammlung ehrbarer Bürger gewesen. Das Seltsame an ihnen war ihre Ruhe und Reserviertheit. Jetzt wechselten einige von ihnen hin und wieder ein paar Worte, aber diese Worte hatten offenkundig praktische Bedeutung und bezogen sich auf den Tee, den Kaffee, die lockere und flockige Sahnetorte oder die Nachmittagshitze. Margaret hatte den Eindruck, daß sie schon vor langer Zeit absolut alles gesagt hatten, was sie jemals zu sagen haben würden. Sie hatte eine ebenso flüchtige wie erschreckende Vorstellung, wieviel Zeit sie wahrscheinlich dazu gehabt hatten.
    Jedenfalls waren die meisten von ihnen allein, wie Mrs. Slater schon angemerkt hatte. Jeder saß allein und gesenkten Hauptes an einem Tisch, und keiner von ihnen bemühte sich um Kommunikation oder Freundlichkeit. Ungewöhnlich viele unter ihnen lasen jedoch, an mehreren Tischen saßen gleich zwei lesende Gestalten, und fast alle lasen keineswegs Glanzpapier-Gazetten wie Mrs. Slater, sondern schwere, karg eingebundene Bände von vielen hundert Seiten. Das war ja zu erwarten gewesen, dachte Margaret in Erinnerung an die bemerkenswerte kleine Bibliothek in ihrem eigenen Zimmer. Es wurde immer offensichtlicher, daß Mrs. Slater nicht in dem Maße übertrieben hatte, wie Margaret vermutet und gehofft hatte.
    »Bitte, nennen Sie mich Sandy«, bat Mrs. Slater zum zweiten Mal.
    Margaret nahm an, daß es eine fortgesetzte Unhöflichkeit gewesen wäre, keine Antwort zu geben.
    »Wenn Sie es wünschen«, sagte sie und versuchte, weder zu unfreundlich noch zu freundlich zu klingen. »Solange Sie mich nicht Molly nennen.«
    »Oh, das würde ich aber gerne«, antwortete Mrs. Slater. All ihre roten Fingerkuppen lagen auf der Kante des weißen Holztisches.
    »Sie können mich Margaret nennen.« Es klang mager, aber der richtige Ton war schwer zu treffen.
    »Ich habe eine richtige englische Teemahlzeit für uns beide bestellt, Margaret. Einmal am Tag gönne ich mir das. Die beiden alten Damen hielten es genauso, und wir nahmen unseren Tee zusammen ein, im Sommer wie im Winter. Aber nun kommen sie nicht mehr vor Einbruch der Nacht hinunter. Ich glaube nicht, daß sie tagsüber noch irgend etwas zu sich nehmen.«
    »Sie sprechen von ihnen, als wären sie Vampire«, sagte Margaret. Mrs. Slater mußte wirklich in die Schranken gewiesen werden.
    »Sie haben vollkommen recht, Margaret«, erwiderte Mrs. Slater ernsthaft. »Ich habe oft daran gedacht, daß der Vampirglauben seinen Ursprung bei den Schlaflosen hat. Wir haben etwas wenig Liebenswertes an uns, wie ich Ihnen schon gesagt habe.« Mrs. Slater kicherte jetzt tatsächlich; einhöchst ungewöhnlicher Vorgang auf der Terrasse des K URHUS .
    Ein junger Kellner in einem weißen Leinenjackett erschien mit Tee für zwei Personen auf einem schweren Messingtablett; dazu gehörten Sandwiches, schottischer Kuchen und sogar heißes Teegebäck in einer silbernen Kalebasse, auf der die Sonne glitzerte und funkelte wie die Miniaturvorführung eines Feuerwerks.
    »Soll ich Mutter spielen?« fragte Mrs. Slater, wobei sie bereits einschenkte. Die Flüssigkeit, die sich aus der langen, dünnen Silbertülle ergoß, sah ungewöhnlich blaß aus. Wahrscheinlich waren nicht genug Teebeutel in der Kanne.
    Keiner der übrigen verzehrte einen vergleichbaren Imbiß, obwohl die meisten irgendetwas zu essen schienen. Margaret bemerkte, daß das kleine, schmale Mädchen in dem weißen Kleid lediglich ein verhältnismäßig kleines Glas Wasser vor sich stehen hatte. Wenigstens war anzunehmen, daß es Wasser war. Sie saß zurückgelehnt für sich allein an einem Tisch und blickte in die Sonne, starrte nahezu mit ihren blauen Augen mitten hinein. Sie war dermaßen schmächtig, daß der Eindruck entstand, als steckten in ihrem weißen Kleid bloß ein paar Strohhalme und Pappstücke und als seien ihr Kopf, ihre Beine und Arme die einzigen Teile, die waren, was sie schienen.
    Zwei junge Männer saßen jeder für sich an Tischen ganz in ihrer Nähe. Man hätte zumindest heimliches Interesse erwarten mögen, aber Margaret konnte kein Anzeichen dafür entdecken. Einer aß eine Äggöra und trank dazu Kaffee, aber beide schienen sich ganz ihrer Melancholie hinzugeben.
    »Das Mädchen dort«, fragte Margaret, »ist doch bestimmt nicht hier, weil es nicht schlafen

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