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schien. Darüber hinaus hatte sie das peinigende Gefühl, daß Mrs. Slater die letzte wäre, der sie entrinnen könnte, indem sie Verstecken mit ihr spielte, als wären sie zwei Schulkinder. Es würde allemal Mrs. Slater sein, die zuerst »Gefangen!« kreischen würde.
    Mrs. Slater bestand darauf, Margaret einige der großformatigen Modephotos in ›Vogue‹ zu zeigen, wobei sie zu den verschiedenen Kleidungsstücken Kommentare abgab, die detailversessen und ausführlich waren, Margaret aber akademisch vorkamen, soweit es Mrs. Slaters eigene Wünsche und Lebensumstände betraf, und beinah unheimlich, wenn es um ihren eigenen hypothetischen Fall ging.
    » Sie würden blendend darin aussehen«, säuselte Mrs. Slater etwa in vollem Ernst, wobei sie mit ihrem dunkelroten Zeigefinger auf ein wolliges Etwas wies, dessen Bild sie fast ins Gesicht drückte, während Margaret den Blick über die grünen Hänge schweifen ließ, die von der Terrasse aus abfielen und an einer anderen Bergkette wieder hochstiegen, zehn, zwanzig, dreißig oder fünfzig Meilen entfernt, – die genaue Entfernung ließ sich schwer schätzen.
    »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich immer hübsche Sachen tragen«, behauptete Mrs. Slater. »Ich habe einen ausgezeichneten Geschmack.«
    Margaret hatte oft mitangehört, wie Frauen von sechzig oder siebzig Jahren stundenlang in genau dieser Manier redeten: jedes Detail abwägend, wehmütig oder boshaft spekulierend, wie dieses oder jenes Kleid dieser oder jener gemeinsamen Bekannten stehen würde, schwankend zwischen Identifikation mit und Mißgunst gegen Margaret, wenn sie einmal der Gegenstand derartiger Erörterungen war. Diese Beschäftigung, halb Traum, halb Wettbewerb, schien unzähligen Frauen wenn schon nicht Glück, so doch wenigstens Lebenskraft zu schenken, sogar noch im hohen Alter. Es mußte einen Zweck erfüllen, aber Margaret war nicht einmal gerührt. Sie sah darin eine Art Ersatzbefriedigung (das Wort sagte alles), die den schlimmsten Aspekt weiblicher Existenz symbolisierte. Aber jeder lebte mit Ersatzbefriedigungen. Man schaue sich nur Henry an, seine schwerfälligen Spielzeuge und seine Existenzängste.
    »Welche Farbe steht Ihnen Ihrer Meinung nach am besten?« fragte Mrs. Slater.
    »Diese Farbe«, sagte Margaret und wies auf ihre Beine. »Und diese dort ...«. Sie deutete auf die grüne Wildnis. Die anderen auf der Terrasse hatten ihre Mahlzeit beendet. In jeder anderen Gesellschaft wäre jetzt schon die Hälfte eingeschlafen.
    »Verzeihen Sie, bitte«, sagte Margaret. »Ich würde gern vor dem Abendessen ein wenig spazierengehen.« Sie stand auf. Niemand schien davon Notiz zu nehmen oder sie auch nur anzusehen.
    »Ich führe Sie herum«, sagte Mrs. Slater und raffte ihre Zeitschriften zusammen. »Es gibt Dinge, die einer Erklärung bedürfen.«
    »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, aber ich möchte es allein probieren.« Margaret hatte eine Idee. »Wie ein berühmter Schwede, möchte auch ich allein sein.«
    Mrs. Slater ließ sich nicht ohne weiteres zum Schweigen bringen. »Wie Sie wünschen«, sagte sie, »aber bedenken Sie: Es ist etwas anderes als ein Spaziergang in England.«
    Die Unterschiede, war Margarets erster Gedanke, bestanden darin, daß es keinen Abfall, keine Bauten, keine Reklame, keinen Lärm von Autos, Flugzeugen und Radios gab – und vor allem keine Menschen. Der Mensch hatte vermutlich diese Bäume gepflanzt und diese Pfade ausgetreten, aber das war schon alles gewesen. Es war wahrhaftig ganz anders als in einem Wald in Cheshire.
    Als Margaret von der Terrasse hinabgestiegen war, hatte sie intuitiv den grünen Tunnel gemieden, aus dem Mrs. Slater aufgetaucht war; unten angekommen, hatte sie nach ein paar Schritten in der Gegenrichtung den anderen betreten, der ein paar Meter unterhalb der Wand des K URHUS selbst verlief. Margaret konnte Abwaschgeräusche und Geklapper aus der Küche hören sowie das dazugehörige Geplauder des Personals. Nach dem Schweigen auf der Terrasse waren diese fröhlichen Geräusche eine Erlösung. Doch waren sie nur ein paar Minuten vernehmbar, und länger war auch das K URHUS -Gebäude vom Wald aus nicht sichtbar. Beinah sofort erreichte der üppige, ausgetretene Pfad einen Knotenpunkt, wo er sich zu einem Dutzend oder mehr Schleichpfaden zwischen den Bäumen verzweigte, als habe an dieser Stelle der Rückzug des Menschen kleinen Tieren die weitere Arbeit überlassen. Die Pfade waren, obzwar sehr schmal, deutlich sichtbar,

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