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versuchte, sich selbst auf die gewohnte Weise zu antworten, versuchte, Henrys Standpunkt einzunehmen und angemessen zu berücksichtigen, daß er alles andere als frei in seinen Entscheidungen war. Er war kaum freier als, nach Mrs. Slaters Worten und dem Zeugnis dieses Wirrwarrs von Schleichwegen durch die Wälder zu urteilen, die Bewohner des K URHUS .
    Nach ihrem Empfinden hatte ein Mann freier zu sein, als Henry es war. Es war nicht so, daß sie selbst unbedingt Bäume markieren oder Vogelstimmen imitieren wollte. Es war eher so, daß der Wald etwas symbolisierte, das außerhalb des Lebens stand – mit Sicherheit außerhalb Henrys Leben und ihres eigenen. Etwas, das nicht einmal ein Teil von Henrys innerem Leben war, wohl aber ein Teil des ihren, wenn sie ihren Empfindungen in diesem Augenblick Glauben schenken konnte.
    Margaret gab sich einen leichten Ruck. Henry mußte im wesentlichen richtig und sie im wesentlichen falsch liegen, oder das Leben würde ganz einfach nicht mehr sein, was es war, und so weiter und so fort ... Die übliche Reaktion auf diese Gefühle des Aufbegehrens war, wie sie genau wußte, daß sie ein wenig mehr Spielraum für die Gestaltung ihres eigenen Lebens, ja (wie einige Bewohner von Manchester vielleicht sogar sagen würden), für ihre Selbstverwirklichung benötigte. Aber dieses beliebte Schmerzmittel pflegte in der Praxis, Margarets Beobachtungen an anderen Paaren zufolge, seine Wirkung beständig zu verfehlen. Was sie auch gar nicht wunderte: Es verwies das eigene Selbst auf den Status und den Umfang eines Hobbies. Es gestattete einem, Lampenschirme zu basteln oder vielen Stunden in der Woche den Krüppeln und Alten zu helfen, wo man in Wahrheit einer Offenbarung bedurfte, Selbstverwirklichung und Selbstvergessenheit in einem. Und zur gleichen Zeit verdarb es die Ehe und minderte den Wert der Familie.
    Der raschelnde, sonnige Wald, verlassen, aber labyrinthisch, verwies auf eine andere Antwort, eine Antwort jenseits der Logik, jenseits der Worte, vor allem aber jenseits all dessen, was Margaret und ihre Nachbarn in Cheshire als normales Leben betrachteten. Es war eine Antwort von ganz anderer Art. Es war das vollkommene Gegenteil eines Hobbies, aber nicht notwendigerweise das Gegenteil dessen, was die Ehe sein sollte, aber nie war.
    Margaret konnte nun wieder die Geräusche aus der K URHUS -Küche hören. Ein Mädchen sang. Margaret blieb stehen und lauschte einen Augenblick, was sie wahrscheinlich, so dachte sie, nicht getan hätte, wenn sie in der Lage gewesen wäre, die Worte zu verstehen. Aus dem Lied klang das reine Sein und eine Schönheit, die das Verstehen der Worte, das in anderer Hinsicht vielleicht hilfreich gewesen wäre, zerstört haben würde. Die Pausengespräche bei den Halle-Konzerten hatten in Margaret den Verdacht erweckt, daß zu weitreichende musiktheoretische Kenntnisse ähnlich zerstörerisch wirken konnten. Häufig hatten ihr Leute, die ins Ausland reisten, gesagt, daß sie die einheimische Bevölkerung wirklich kennenlernen wollten – nach Möglichkeit in der gleichen Weise, wie sie ihren englischen Landsleuten begegneten und diese kennenlernten. Zu diesem Zweck brachten sie anstrengende Abende damit zu, die Sprache zu erlernen, wenigstens setzten sie ihre Hoffnung darein. Margaret sah ein, daß das in keiner Weise ihrer Vorstellung entsprach.
    Der Gesang des Mädchens war dem Gesang des Waldes eng verwandt. Wenn man zu genau hinhörte, würde man ihn nicht mehr verstehen. Als sie darüber nachdachte, wurde Margaret klar, daß sie das Lied unbewußt vom lauten Klappern der Pfannen abgelöst hatte, von dem es, genau genommen, eingehüllt war. Sie hatte nur das Lied wahrgenommen und nichts von dem Hantieren, das es fast übertönte.
    Genauso verhielt es sich auch mit dem Wald. Man mußte sich von den bloßen Geräuschen lösen, nicht zuletzt von der steten Betäubung durch ihren inneren Widerhall. Man mußte die Sachlichkeit verbannen. Dann erst wurde etwas anderes vernehmlich – sofern man Glück hatte, die Sonne schien, und die Wege gut gepflegt waren; wenn man die richtige Kleidung trug, und wenn man keinen Versuch einer Definition oder Verallgemeinerung unternahm.
    Margaret führte sich erstaunt zwei praktische Tatbestände vor Augen: Sie war eineinhalb Stunden unterwegs gewesen, weit länger, als sie vermutet hatte, und sie war von der freien Fläche aus, wo die Schleichpfade alle auf einmal sichtbar waren, zurückgekehrt, ohne auf ihre Wegrichtung einen

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