Kirurgi, wie man in Schweden sagt. Zwei Ärzte sind immer in Bereitschaft, Tag und Nacht, falls es zu einer Krise kommt. Sie nehmen sich doch selbst Rödkal aus der Schüssel?«
Sie saßen an einem Fenster, hinter dem die Sommernacht anbrach.
»Welche Art von Krise kommt denn am häufigsten vor?«
»Leider sind unsere häufigsten Krisen plötzliche Manie und plötzlicher Tod. Aus diesem Grund müssen die Ärzte einigermaßen jung und stark sein. Dasselbe gilt für das männliche Personal im allgemeinen, wie Sie wohl schon bemerkt haben. Bei Schlaflosigkeit kommt es oft zu einem plötzlichen Knacks. Die Anspannung ist nicht mehr zu ertragen. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum wir immer gezwungen waren, für uns allein zu leben. Die Provinz-Psychiatrie versammelt hier viele ihrer Aspiranten, aber nur wenige ihrer sogenannten Heilerfolge. Sie würden es kaum glauben, aber selbst dort schläft unsereins nicht. Und was unsere Toten betrifft, so gibt es für sie einen besonderen Ort im Wald; nicht einfach zu finden, wenn man nicht weiß, wo man suchen muß. Auch nach dem Tod setzt sich die leidige Geschichte der Absonderung fort. Aber ich fürchte, daß all das Sie kaum bewegen wird, ihren Aufenthalt hier zu verlängern. Ich weiß nur zu gut, daß die Tatsachen, statt Liebe und Mitgefühl zu wecken, wie man vielleicht zu hoffen wagt, das genaue Gegenteil bewirken. Wir armen Leute sind zu ewiger Selbstgenügsamkeit verdammt, ob wir wollen oder nicht. Also essen Sie Ihre Mört, Margaret, und schenken Sie all diesen schwermütigen Gedanken keine Beachtung.«
Margaret kam zu dem Schluß, daß sie eigentlich nicht so schwermütig war, wie es angebracht gewesen wäre. Mrs. Slater schwelgte noch zu sehr darin, und Margarets Einstellung gegenüber dem K URHUS war hauptsächlich von brennender und wachsender Neugier, sträflicher Neugier möglicherweise, geprägt. Sie fühlte sich sanft angeregt durch eine Gemeinschaft, die so ganz anders und unberechenbar war, wenn auch ungastlich. Im übrigen hatte ihre Erfahrung mit dem, was Mrs. Slater den ›Wald‹ nannte, die vier Marken ihres inneren Kompaß merklich verschoben. Die Bezugspunkte ihres Lebens hatten sich geändert ... Denkbar, überlegte sie, als Mrs. Slater ihr ein bröckeliges Stück Efterrättstarta reichte, daß die ungewohnte Freiheit und Abgeschiedenheit ihr ein wenig zu Kopfe gestiegen war, wo immer sie auch gewesen sein mochte; aber das wahre Wunder lag darin, daß ein winziger Schritt sie in eine vollkommen andere Welt geführt hatte. Die Menschen, die sie umgaben, mochten in einem gewissen Sinne Ausgestoßene sein, wie Mrs. Slater sagte. Gut möglich, daß sie litten, man konnte nicht sicher sein, wenn man sie sah. Aber Margaret wußte genau, daß das K URHUS bereits ihre Lebensbatterie wiederaufgeladen, ihre Spannkraft wiederhergestellt hatte. Nach langem Stillstand war sie nun geheimnisvoller weise wieder in Bewegung.
»Sahne?« fragte Mrs. Slater, ein silbernes Kännchen in der Hand. »Oder, wie die Schweden sagen, Grädde ?«
Wieder in Bewegung und so kurz nach dem Start, konnte man von Margaret nicht erwarten, daß sie über das Anhalten nachdachte. »Warum lächeln Sie?« fragte Mrs. Slater. »Entschuldigen Sie«, antwortete Margaret. »Ich war wohl in Gedanken.«
»Nein, es gibt keinen Kaffee«, sagte Mrs. Slater. »Wie jedermann weiß, ist die physiologische Folgeerscheinung von Kaffee Wachheit. Aber in Ihrem Fall macht es wohl diesmal nichts aus, daß es keinen gibt. Denn wenn ich Sie wäre, würde ich zu Bett gehen.«
»Aber ich bin überhaupt nicht müde.« Margaret hatte gedankenlos gesprochen. Im K URHUS waren sogar neue Floskeln vonnöten. »Oh, ich habe etwas Falsches gesagt. Ich möchte mich entschuldigen.«
Mrs. Slater blickte sie fischäugig an.
»Auch wenn Sie nicht schlafen, bleiben Sie auf Ihrem Zimmer.«
»Wieso?«
»Nachts gehen wir umher. Wir beginnen damit nach dem Abendessen, und viele von uns wandern bis zum Morgengrauen herum. Sie sollten das nicht sehen.«
»Mrs. Slater ...«, begann Margaret.
»Sandy, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Sandy, natürlich.« Erneut lächelte Margaret. »Sandy, wenn es stimmt, was Sie sagen, tut es mir für sie alle sehr, sehr leid, aber Sie können nicht erwarten, daß ich herkomme und Ihnen zuhöre, ohne mir selbst ein Bild machen zu wollen. Es mag falsch sein, aber ich kann es nun einmal nicht ändern.«
»Das ist wohl nur natürlich«, sagte Mrs. Slater, »und ich habe das
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