ich wohl in den Wald gehen sollte, Colonel Adamski? Jetzt, ich meine, da sie alle dort umhergehen. Mrs. Slater hat es mir strengstens untersagt. Was raten Sie mir?«
»Sie werden inzwischen bereits bemerkt haben, daß wir in vielen Fragen keine einheitliche Auffassung haben. Nicht anders als in der übrigen Welt auch. Nicht anders als in einem Kloster, um auf jenes Beispiel zurückzukommen. Sie würden überrascht sein! Ich bin mit Mönchen zur Schule gegangen und kann Ihnen versichern, daß sie sich voneinander ebenso unterscheiden wie Politiker oder Geschäftsleute. Mrs. Slaters Auffassung zeichnet ein Bild von Mrs. Slater. Als ich einige Jahre mit der polnischen Armee in England stationiert war und dort warten mußte und Erfahrungen sammelte, vor allem aber wartete, stellte ich fest, daß Britanniens Stärke in Frauen wie Mrs. Slater lag, vorsichtig und leidenschaftslos. Es wäre falsch von mir, mit einer so hervorragenden Vertreterin Ihrer Mitbürgerinnen zu rechten.«
»Aber sollte ich denn in den Wald gehen, Colonel Adamski?«
»Warum nicht, Mrs. Sawyer, wenn Sie es wollen? Warum nicht? Nur wenige von uns Nachtwandlern beißen wirklich; und gewiß niemals eine reizende Dame wie Sie.«
Er regte sich auf seinem Stuhl.
»Oh«, sagte Margaret, erst jetzt auf diesen Gedanken kommend, »ich hoffe, ich habe Sie nicht aufgehalten?«
»Es war mir ein besonderes Vergnügen.« Der Colonel stand auf und schlug andeutungsweise die Hacken zusammen. »Ihr Gatte ist ein beneidenswerter Mann. Ich wünschte nur, er würde keine Straßen bauen.«
»Wieso?« fragte Margaret.
Der Colonel breitete die Hände aus.
»Das Blut. Der Lärm. Die Aggression und Feindseligkeit. Die Verwüstung und die Leere. Die Mittel ohne Zwecke. Die ersten Straßen, die ersten Straßen dieser Art hat Hitler gebaut. An die Stelle des Krieges ist in der Gesellschaft das Autofahren getreten. Ich, ein Soldat, sage Ihnen, das Kriegshandwerk hat seine Erscheinungsform verändert. Aber derartige Dinge sollte ich nicht der Frau eines Straßenbaumeisters eröffnen, die mir die Ehre erwiesen hat, mit mir nach dem Abendessen Kaffee zu trinken. Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Sawyer. Ich gehe.«
Der Colonel schlug noch einmal in der denkbar zurückhaltendsten Weise die Hacken zusammen und stieg die Treppe hinauf, sehr leise für einen so stattlichen Mann.
Es war anzunehmen, daß alle, die hinaus wollten, das Haus nun verlassen hatten, möglicherweise die gesamte Gästeschaft mit Ausnahme von Mrs. Total und Mrs. Ascot, Mrs. Slater, Colonel Adamski und Margaret selbst. Margaret blieb in der stillen Halle mit ihren verstreuten Märchenlichtern, die kaum genügend Licht für jemanden spendeten, der zu lesen beabsichtigte.
Schließlich kam noch ein einzelner Spätentschlossener die Treppe herunter. Es war das kleine, schmächtige Mädchen, das früher am Tag ein weißes Kleid getragen hatte. Nun trug sie ein dunkles Kostüm (das Licht war zu schwach, als daß Margaret die genaue Farbe hätte erkennen können), das jugendlich straff wie eine zweite Haut saß. Sie kam rasch, aber nicht eilig die Treppe hinuntergetrippelt, als sei es nicht nur angemessen, daß sie die letzte war, sondern als wäre ihr vielleicht sogar bewußt, daß man sie erwartete und ihrer harrte. Sie sah dünner und zerbrechlicher aus denn je; ihre Beine waren eher mager als schlank, ihre Brüste unter dem dunklen Stoff, der sie bedeckte, kaum sichtbar. Als sie vorüberging, blickte sie Margaret zum ersten Mal unumwunden an. Ihre großen blauen Augen schienen eine halbe Sekunde lang aufzublitzen, als Licht in sie fiel, und Margaret schien es, als lächle ihr winziger, vergeudeter Mund leicht, wenn sich auch unmöglich sagen ließ, ob dies ein Zeichen des Wiedererkennens war. Sie war innerhalb eines Augenblicks vorübergegangen und im nächsten durch die Tür zur Terrasse verschwunden, wo die Schwärze sie sofort einhüllte und verschluckte.
Margaret bemerkte, daß sie unwillkürlich aufgestanden war und in die Nacht hinter der Türverglasung hinausstarrte. Sie durchquerte die Halle und folgte dem Mädchen hinaus auf die Terrasse.
Es war unerwartet kalt; sie hatte die Temperatur Schwankungen zwischen dem schwedischen Tageslicht und der schwedischen Dunkelheit vergessen. Soweit sie wußte, gab es später im Jahr zu keiner Zeit des Tages richtige Dunkelheit, nun aber war sie undurchdringlich, mond- und sternenlos, undurchdringlich und eisig. In ihrem Abendkleid am ganzen Körper zitternd
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