0003 - Achterbahn ins Jenseits
gewähren. Dann machte er eine Handbewegung, und ruckartig flog die vorher verschlossene Eingangstür des Wagens auf.
»Geh!« rief Lionel Hampton. »Geh!«
Carl Norton blickte sich gehetzt um. Er starrte nach draußen in die rabenschwarze Dunkelheit. Hier zwischen den Wohnwagen brannte kein Licht. Nur am Nachthimmel war der Widerschein der Rummelplatzbeleuchtung zu sehen.
»Geh!«
Der Befehl galt Carl Norton. Und plötzlich war ihm alles egal. Er sah die offene Tür, gab sich einen Ruck und rannte los.
Panikartig stürmte Norton dem Ausgang entgegen. Angst und Furcht peitschten ihn voran. Er stürzte auf die Tür zu, übersprang mit einem Satz die Schwelle…
Da wurde er zurückgerissen.
Norton brüllte auf.
Jemand packte seinen Nacken und riß ihn hoch, als wäre er nur ein Spielzeug. Nach wenigen Sekunden schon schwebte Carl Norton hoch über dem Rummelplatz. Er strampelte mit Armen und Beinen, versuchte, den Kopf zu drehen, um erkennen zu können, was ihn da festhielt.
Der Schausteller sah nicht, daß es eine überdimensionale Hand war, von deren Fingern er gehalten wurde.
Plötzlich sah er unter sich die Achterbahn.
Sein Lebenswerk.
Er sah die Wagen. Sie wirkten wie Spielzeugautos. Der Wind zerzauste seine Haare, und er vernahm dicht neben seinem Ohr eine grausam klingende Stimme.
»Ich werde noch ein Exempel statuieren«, sagte der Totengräber. »Eins hat nicht gereicht. Ich bin gespannt, wie deine Freunde reagieren, wenn es zum Chaos kommt. Gib genau acht, Carl Norton, denn jetzt beginnt Teil zwei meiner Rache…«
***
»Treten Sie näher, meine Damen und Herren. Kommen Sie zu uns. Hier erleben Sie den Schrecken, der Ihnen das Mark in den Knochen gefrieren läßt. Eine kleine Kostprobe vielleicht? Vorhang!« schrie der Anreißer und machte eine ausholende Handbewegung. Ein Teil des dunkelroten, muffig riechenden Vorhangs schob sich zur Seite. Für Sekundenbruchteile wurde eine Leinwand sichtbar. Dann tauchte ein Vampir mit blutverschmiertem Mund auf. Er jagte hinter einem blonden Mädchen her, das nach jedem zehnten Schritt einen Teil seiner Kleidung fallenließ. Bevor das Girl völlig nackt war, schloß sich der Vorhang wieder.
Der Ansager lachte. »Wollen sie wissen, wie es weitergeht? Wollen Sie miterleben, wie der Blutsauger sich über die Wehrlose hermacht? Dann kommen Sie schnell. In zehn Minuten beginnt die Aufführung. Lassen Sie Kinder und schreckhafte Frauen draußen, denn bei uns erleben Sie Horror, wie er schrecklicher nicht sein kann.«
Der Anreißer stieß ein schauriges Gelächter aus, während aus zwei Lautsprechern schrille, nervenaufpeitschende Musik drang.
John Sinclair wandte sich ab. Die Masche mit dem Schrecken zog noch immer. Besucher drängten sich bereits vor der Kasse. Alle Altersschichten waren vertreten.
Aber was dort gezeigt wurde, war ja nur ein Film. Man selbst konnte die Szenen genüßlich ansehen und brauchte nicht um sein eigenes Leben zu fürchten.
Man war ja in Sicherheit…
Die Ahnungslosen, dachte der Geisterjäger. Sie wußten nicht, daß die Schrecken, die die Wirklichkeit für sie parat hielt, oft viel grausamer waren. John konnte davon ein Lied singen. Er hatte schon Fälle aufgeklärt, die bei einem normal denkenden Menschen zum Haarausfall geführt hätten.
Es gab sie tatsächlich – diese Vampire oder Werwölfe. Sie lebten als Menschen verkleidet, hatten sich angepaßt und warteten immer wieder auf ihre Chance. Es war noch nicht lange her, da hatte sich John Sinclair mit vier weiblichen Vampiren herumschlagen müssen. Mit Schaudern dachte er an den Fall. [3]
Der Oberinspektor ging weiter. Er steuerte die Achterbahn an. Es war schon reichlich spät für seinen Besuch, aber John hoffte, daß er Vera Norton noch antreffen würde.
Vor der Achterbahn herrschte noch immer ein großer Andrang. John fiel ein Paar auf, das untergehakt auf die lange Schlange am Kassenhäuschen zuschritt. Die Frau trug eine Rose. Der Mann hatte brandrotes Haar. Seine Blicke streifen über das Wunderwerk der Technik.
John Sinclair drängte sich an den wartenden Besuchern vorbei. Er suchte Vera Norton.
Das schwarzhaarige Girl saß in dem kleinen Kassenhäuschen. Vera war so beschäftigt, daß sie John Sinclair gar nicht bemerkte.
Der Geisterjäger wartete. Er hoffte, Carl Norton zu finden, doch von dem Schausteller war nicht ein Jackenzipfel zu sehen.
John sprach einen der Arbeiter an.
Der Mann zog sich seine Hose hoch und sagte, ohne die Zigarettenkippe aus dem
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