0012 - Ich - und der Mörder ohne Waffen
schlagen.
»Kommen Sie herein!« befahl ich. Sie schob sich gehorsam und ängstlich ins Zimmer.
»Tür zu!« Sie zog sie zu und blieb neben der Klinke stehen.
Ich nagte an meiner Unterlippe und blickte abwechselnd auf Ann und auf das Telefon. Dann rief ich Mr. High an.
»Gut, Jerry«, sagte er mit einem Unterton von Erleichterung. »Phil steht neben mir. Haben Sie sie noch?«
»Soweit okay«, antwortete ich. »Ich schlug ihr vor zwei Minuten eine Ampulle aus der Hand, mit der sie sich vergiften wollte. Das ganze Zimmer riecht nach Blausäure. Sie wurde von irgend jemandem angerufen, und kurz darauf wollte sie sich vergiften. Sie benahm sich sehr seltsam, Chef. Ich habe so etwas noch niemals gesehen. Es war, als wäre sie nicht bei Verstand.«
»Was schlagen Sie vor, Jerry?«
»Wollen wir so tun, als hätte Ann Thomper sich umgebracht?«
High begriff sofort.
»Vielleicht ein guter Gedanke. Der Mann im dunkeln wird dadurch nicht aufgescheucht und ahnt nicht, wie nahe wir ihm auf den Fersen sind. Wie wollen wir es machen?«
Wir einigten uns schnell über die Art, in der Ann Thompers offizieller Selbstmord veröffentlicht werden sollte. Erst in zwei Stunden würde Mr. High die Mordkommission ausrücken lassen. Vorher würde er schon durch einen Boten ein Schlafmittel schicken, damit wir Ann reibungslos abtransportieren konnte. Der schwächste Punkt war Mrs. Beggenfield. Wenn wir sie in Freiheit ließen, würde sie mit den Nachbarinnen quatschen, und niemand konnte wissen, welche Ohren für den Mann am Telefon hörten. Wir beschlossen kurzerhand, sie wegen Verdachtes auf Mittäterschaft zu verhaften.
Zehn Minuten nach Beendigung dieses Telefongespräches kam Ann zu sich. Sie blickte sich im Zimmer um, als sähe sie den Raum zum erstemal. Sekunden danach rang sich der erste gequälte Schrei aus ihrer Brust. Sie fuhr vom Bett hoch. Ich versuchte sie zu halten. Sie wehrte sich wie ein Furie. Ich drückte sie nieder, und Mrs. Beggenfield benutzte die Gelegenheit, einen Fluchtversuch zu unternehmen.
Ich sauste hinter der Frau her und zog sie ins Zimmer zurück. Ann war zum Fenster gesprungen und riß an dem zum Glück rostigen Verschluß.
Sie schlug, biß, trat um sich, und die ganze Zeit schrie sie dabei wie ein Tier. Ich versuchte, ihr den Mund zuzuhalten. Sie biß mir in die Hand. Ich schleifte sie wieder zum Bett, aber sie gab keine Ruhe, und dabei mußte ich hin und wieder einen Blick auf Mrs. Beggenfield werfen, die zum Glück in einen ihrer mottigen Sessel gefallen war.
Ich erstickte Anns Geschrei mit einem Kissen. Sie tobte noch zehn Minuten, und dann wurde sie plötzlich ohnmächtig. Ich atmete auf, und jetzt erst merkte ich, daß ich am ganzen Körper naß vor Schweiß war.
Endlich heulten die Sirenen durch die Straße. Bremsen kreischten, Männerstiefel polterten die Treppe hoch, Mr. High, Phil und die Mordkommission waren da.
Wir machten es stilecht. Cops hielten die im Nu sich sammelnden Neugierigen zurück. Der Polizeifotograf blitzte, der Arzt gab Ann eine Spritze, die Hausbewohner wurden verhört.
Schließlich wurde das fest schlafende Mädchen auf eine Bahre gelegt und, mit einer bis über den Kopf hochgezogenen Decke, im Leichenwagen abtransportiert. Mrs. Beggenfield mußte ihre Wohnung abschließen. Sie wurde versiegelt, und die Besitzerin kam unter FBI-Gewahrsam in eine Zelle des State-Gefängnisses. Sie zeterte heftig, aber wir konnten keine Rücksicht darauf nehmen. Ich würde ihr eine Schachtel Pralinen bringen, wenn sie entlassen wurde.
Ann gelangte sofort in die Obhut der Ärzte. Ich gab Mr. High einen genauen Bericht der Ereignisse.
»So viel wissen wir jedenfalls, daß es um Geld, um hunderttausend Dollar geht«, sagte er, als ich geschlossen hatte.
»Wir haben eines versäumt«, meldete sich Phil. »Wir hätten einen Mann bei den Aufbewahrungsfächern des Bahnhofes postieren sollen. Wer immer den Koffer geholt hätte, durch ihn wären wir auf die richtige Spur gestoßen.«
Mr. High nahm sofort den Hörer ab. Er beauftragte Gloster, der zum Bereitschaftsdienst gehörte. Gloster war nach noch nicht einer halben Stunde wieder da.
»Fach siebentausendfünfhundertelf ist leer«, meldete er lakonisch.
Da die Aufbewahrungsfächer ähnlich wie Postschließfächer auch von der Innenseite kontrolliert werden können, hatte ihm die Feststellung keine Mühe bereitet, und der Umtausch gegen falsche Noten war noch bewerkstelligt worden, so daß der Abholer zwar seine Spur verwischt, aber
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