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0013 - Die Knochengrube

0013 - Die Knochengrube

Titel: 0013 - Die Knochengrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
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alles möglich. Lassen Sie uns bis tief in die Biskaya vordringen. Erst dann läßt sich etwas Genaueres sagen.«
    Der Professor suchte mit einem Nachtglas die aufgepeitschten Fluten ab. Dies war die einzige Art, in der Umgebung etwas erkennen zu können. Der Himmel hatte sich durch die treibenden Wolken tintenschwarz gefärbt. Verschwunden war der Mond, der bei ihrer Abfahrt aus Arcachon fahles Licht ausgestreut hatte.
    Plötzlich stieß Zamorra einen Ruf aus.
    »Wir erhalten Besuch. Ein hell erleuchtetes Schiff nähert sich von Westen. Und wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich um einen außergewöhnlich großen Passagierdampfer!«
    »Die ›Estrella Negra‹?«
    »Schauen Sie selbst, Micaela!«
    Die schwarzhaarige Frau setzte das Glas an die Augen. Was sie erblickte, jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Die Lichter des fremden Schiffes rückten schnell näher. Zunächst hielt sie es für eine optische Täuschung – aber dann vergewisserte sie sich, daß der Dampfer nicht schwamm und mit den Wellen kämpfte wie die »Quimper«, sondern sich ausgesprochen ruhig bewegte. Über dem Wasser!
    »Er fliegt«, stammelte sie.
    »Ich hätte das auch gern gesehen«, meinte Rosa. Sie nahm ihrer Schwester das Fernglas ab, blieb aber unbeirrt, nachdem sie einen Blick auf das Phänomen geworfen hatte. »Wir haben doch nichts anderes erwartet, oder? Also schön, Micaela, bewahren wir die Ruhe. Es gäbe nichts Schlimmeres, als in den nächsten Augenblicken die Fassung zu verlieren, verstehst du?«
    »Natürlich«, versicherte die Schwarzhaarige.
    Zamorra tastete unwillkürlich mit den Fingern nach dem silbernen Amulett. Mittlerweile benötigte er kein Nachtglas mehr, um das Schiff auszumachen. Es hatte sich nun so weit herangeschoben, daß er es mit bloßen Augen erkennen konnte. Die »Estrella Negra«! Ein verrotteter Kahn mit Löchern in der Bordwand, wie sich bei näherem Beobachten herausstellte. Zamorra hütete sich, daraus voreilige Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Geistermannschaft zu schließen. Im Bereich der Zauberei und Schwarzen Magie war Verfall oftmals gleichbedeutend mit dem höchsten Maß an Scheußlichkeit und Verdruß.
    »Sie zeigen sich«, rief er den Schwestern zu.
    »Himmel, steh mir bei«, jammerte Micaela und bewies damit, daß sie wohl aus einem weicheren Holz geschnitzt war als ihre ältere Schwester. Rosa gab jedenfalls keinen Laut des Entsetzens von sich.
    Sie beschränkte sich darauf, die Schwarzhaarige am Arm festzuhalten und auf sie einzureden.
    Die Geister waren an der Reling der »Estrella Negra« aufgetaucht.
    Zamorra benutzte jetzt doch wieder das Nachtglas, um sich ein genaues Bild von dem Gegner machen zu können. Überdeutlich zeichneten sich die von der Bordbeleuchtung erhellten Schauergestalten vor seinen Augen ab. Ja, es waren fünfzehn Geister, die dort tanzten und ihre Säbel schwangen, Knochengestalten mit von Fäulnis zerfressenen Gesichtern und bloßgelegten Zähnen, Horrorerscheinungen, deren Fetzenkleidung und glühende Augen den Ausdruck des Unheimlichen bis ins Unendliche verstärkten.
    Zamorra fragte sich, welcher Geist Raspani sein mochte.
    »Professor!« schrie Micaela. »Schauen Sie doch! Auf der Kommandobrücke!«
    Zamorra nahm das Glas höher.
    Die gesamte schaurige Wirkung des Burschen vor dem Ruderraum ging von seinem bleichen und eingefallenen Gesicht aus. Er hatte mehr Fleisch auf den Wangenknochen als die fünfzehn Geistermatrosen, aber das ließ ihn eher noch abstoßender erscheinen.
    Die Physiognomie wirkte gläsern, transparent – es waren die typischen Merkmale des Untoten. Zamorra bemerkte mit einem Frösteln die an Fischrogen erinnernden Haare, den armdürren Halsansatz, die Krallenhände, die unter der schwarzen Kleidung hervorragten.
    »Raspani«, formten seine Lippen den Namen des Gegners. Zamorra entging nicht, wie der Kapitän der »Estrella Negra« den Mund zu einem hämischen Lachen öffnete.
    »Professor, so tun Sie doch etwas«, drängte Micaela.
    »Ruhig, sie sind noch eine Viertelmeile entfernt«, gab Rosa gereizt zurück. Offensichtlich bereute sie, die jüngere Schwester mitgenommen zu haben. Während der nächsten Sekunden gab sie sich alle Mühe, Micaela in die Kajüte zurückzubringen. Doch die Schwarzhaarige wehrte sich.
    Zamorra betrachtete die auf dem Vorderdeck umherhüpfenden Gespenster. Ihre Säbel blitzten im Licht – Waffen, die in fünfundsiebzig Jahren nicht vom Salzwasser oder der jodhaltigen Meeresluft

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