0013 - Die Knochengrube
ihr?«
Es machte ihn rasend, daß er ihnen nicht an Land folgen konnte.
Es gab nur ein Fleckchen Erde, das der Untote mit seinen fünfzehn Geistermatrosen betreten konnte. Aber dorthin würden die Schwestern Saldana und Zamorra niemals kommen. Nicht einmal in die Nähe würden sie fahren, denn sie wußten nichts von der Existenz des Versteckes. Raspani ärgerte dies aus triftigem Grund: Er mußte sie in seiner Nähe haben, um sie in seinen Bann zwingen zu können – wie damals die Besatzung des Marinekutters »Aragon«, wie Pravemann und seine Leute von der »Drachten«, wie Everildo Saldana und seine Freunde. Einmal in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, ließ er sie nicht mehr aus den Klauen.
Unvermittelt hielt er die Finger wieder steif. Er mußte sich gänzlich auf das Bild des magischen Spiegels konzentrieren. Zamorra hatte eine Bewegung zum Hals hin getan – warum?
»Näher«, schnaubte Raspani, »ich will ihn dicht vor mir sehen!«
Zamorras Gesicht und der Oberkörper rückten in Großaufnahme heran. Jetzt erkannte Raspani, daß der Professor etwas an einer schmalen Kette um den Hals trug. Ein Amulett. Vermutlich aus Silber, wie seinem eigentümlichen Blinken zu entnehmen war. Er zeigte das Amulett Micaela Saldana.
»Was ist das?« entfuhr es Raspani.
Er konnte den Anblick des Amuletts nicht ertragen. Es flößte ihm ein Gefühl ein, das er vor fünfundsiebzig Jahren mit auf den Grund der Biskaya genommen hatte und seither nicht mehr gekannt hatte.
Angst.
Raspani konnte sich dies nicht erklären. Er brach ab, schlug ein letztes Mal auf die Tasten. Die Orgel antwortete mit einem Mißklang. Fluchend stieß er den Schemel um und rannte aus dem Musiksalon. Er wollte seine unbändige Wut an den Geistermatrosen auslassen.
***
Zweiundzwanzig Uhr.
Zamorra befand sich in Begleitung zweier Frauen. Rosa Saldana hatten sie vom Flughafen Orly abgeholt. Die Brünette mit den gleichmäßigen Zügen hätte selbst mit den raffiniertesten Make-up-Mitteln ihre Ähnlichkeit mit Micaela nicht verdecken können. Sie war fünfunddreißig Jahre und damit vier Jahre älter als Micaela.
Ihre Ehe war geschieden. Ihr Gesicht trug nicht nur die winzigen Zeichen des aktuellen seelischen Leidens, sondern auch die Relikte einer schmerzlichen Vergangenheit. Dennoch war sie attraktiv, selbst noch im Trauerkleid.
Micaela saß neben Zamorra. Rosa hatte auf dem Rücksitz Platz genommen. Der Professor war von Orly direkt nach Château Montagne gefahren, wo er Nicole Duval zurückgelassen hatte. Sie sollte auf Bill Fleming warten. Für Fleming lag bei Madame Genevieve La Menthe in der Rue Favager 43 in Paris-Clichy eine kurze Nachricht.
Der Professor war aber beinahe froh, daß Nicole ihn nicht auf der Fahrt nach Bordeaux begleitete. Er war noch nicht sicher, was auf ihn zukam, und es bedeutete schon eine große Opferbereitschaft, daß die Schwestern so kompromißlos seinem Plan zugestimmt hatten. Sie riskierten dabei ihr Leben. Andererseits sah Zamorra keine bessere Möglichkeit als diese, die »Estrella Negra« und ihre grauenvolle Mannschaft aufzustöbern.
»Zeigen Sie mir bitte noch einmal das Amulett«, bat Rosa. Sie sprach Spanisch. Da sowohl ihre Schwester als auch der Professor es perfekt beherrschten, unterhielten sie sich fortan nur noch auf Spanisch.
Zamorra nestelte an der Halskette. »Machen Sie es bitte los, Rosa. Sie können es getrost in die Hände nehmen.«
Die Brünette öffnete den Verschluß. Nachdenklich schaute sie auf das silberne Amulett hinunter. In seiner Mitte befand sich ein Drudenfuß, kreisförmig darum angeordnet waren die zwölf Tierkreiszeichen. An der Außenseite wurde es von einem schmalen Silberband umgeben, dessen Zeichen und Hieroglyphen nicht zu entziffern waren.
»Ich habe den Talisman von meinem Onkel Louis de Montagne geerbt«, erläuterte Zamorra das, was er Micaela bereits im Restaurant erzählt hatte. »Genauer gesagt: Ich fand es im Kellergewölbe des Château Montagne, das er mir testamentarisch vermachte. Mit Hilfe des Amuletts besiegte und vernichtete ich die Dämonen des Schlosses, so unwahrscheinlich das für Sie klingen mag.«
»Für mich nicht«, gab Rosa verhalten zurück, »ich habe wie Micaela geahnt, daß es übersinnliche Mächte gibt, die uns wie anderen Menschen Verdammnis bringen.«
»Das silberne Amulett ist das einzige Mittel, das ich gegen Geister und Dämonen erfolgreich in Anwendung bringen kann. Seine Kraft und sein Wert haben mir eine Verpflichtung
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