0013 - Die Knochengrube
gehorchst!«
Damit warf sie sich ihm entgegen und spreizte die hochgestreckten Finger.
Raspani lachte und bückte sich.
Einer der Geister trat der Schwarzhaarigen blitzschnell gegen ein Schienbein. Sie kreischte auf, geriet aus der Balance und prallte gegen Zamorra. Micaela krallte sich so an ihm fest, daß auch er das Gleichgewicht verlor. Der Professor strauchelte. Dann fiel er mitten zwischen die Knochengestalten.
Raspanis Knochenfinger verkrampften sich um sein Handgelenk.
Der Kerl entriß ihm das Amulett! Zamorra schüttelte Micaelas Körper ab und krümmte sich, um dem Herrn der Geistermatrosen einen Tritt zu versetzen.
Zu spät.
Raspani hatte den Talisman!
Mit gemeinem Grinsen schleuderte er ihn über Bord. Zamorra glaubte, sein Herzschlag würde aussetzen, als er das sah. Es war aus. Ohne das Amulett war er allen anderen Menschen gleichgestellt, war schwach und hilflos gegenüber den Mächten der Finsternis. Jetzt mußte er sich gefallen lassen, daß die Knochenmänner ihn umringten und mit ihren Säbeln auf ihn einhieben. Er hörte noch die Schreie der Saldana-Schwestern. Danach traf ihr ein Schlag gegen den Hinterkopf. Zamorra wurde von einem schäumenden Strudel mitgerissen, in einen schwarzen Trichter, dessen Kern im einem bodenlosen Nichts lag, im absolut neutralen Bereich des menschlichen Bewußtseins…
***
Etwa zur selben Zeit traf Bill Fleming im Loiretal ein. Die Scheinwerfer seines Mietwagens, eines dunkelblauen Peugeot Coupé, erfaßten die geduckten Häuser, die dem Verlauf des Flusses folgten.
Auf der anderen Seite der Loire waren gegen das schale Mondlicht die Umrisse von Château Montagne zu erkennen. Zinnen und Türme zeichneten sich wie Klötze ab. Von der Hauptstraße des Dorfes führten langgezogene Serpentinen zum Schloß hinauf. Fleming schaltete in den zweiten Gang hinunter, nicht wegen der Kurven, sondern wegen der schmalen und mit Schlaglöchern übersäten und durch zahlreiche Reparaturen scheckigen Piste!
Der Peugeot rollte über die Zugbrücke. Das Fallgitter, wie üblich hochgezogen, ließ den Amerikaner durch. Im Innenhof stieg er aus und beeilte sich, zur Eingangstür der Schloßhalle hinaufzulaufen und den Klopfer zu betätigen.
Es war nicht der Butler, der ihm öffnete. Vielmehr tauchte Nicoles Kopf im Türspalt auf. Zamorras hübsche Sekretärin hatte ein weißes Gesicht und eine zerwühlte Jeanned’Arc-Frisur, ein Zeichen, daß sie nicht geschlafen hatte. In der Tat hatte sie sich mit verrückten Gedanken herumgeschlagen.
»Bill, ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr«, begrüßte sie den jungen Wissenschaftler.
»Kunststück. Ich habe eure Nachricht von Madame La Menthe erhalten. Aber dazu mußte ich erst einmal Clichy und die Rue Favager finden. Wo steckt eigentlich Zamorra?« Fleming schickte einen Blick in die Runde, stellte fest, daß sich das Château seit seinem letzten Besuch auch innen nicht verändert hatte, und bot Nicole Duval eine Zigarette an.
»Er ist fort.«
»Allein?«
»Mit den Schwestern Saldana. Rosa ist per Flugzeug aus Argentinien eingetroffen. Die drei haben sich in den Kopf gesetzt, dem unheimlichen Raspani das Handwerk zu legen.« Sie bemerkte Bills verwunderten Gesichtsausdruck. Rasch erklärte sie ihm, was der Professor durch seine Ermittlungen herausbekommen hatte.
»Ein Geisterschiff? Aber das ist doch hergeholt«, winkte Fleming ab. Genau wie Nicole versuchte er immer wieder, Zamorras geheimnisvolle Fälle durch reine Logik zu erklären. »Die beiden Ladys und ihr Beschützer werden sich nur einen deftigen Schnupfen holen, fürchte ich.«
»Ich weiß nicht…«
»Fangen Sie jetzt auch schon mit der Spinnerei an?«
»Quatsch, ich bin nach wie vor überzeugt, daß die Geschichte ihre ganz nüchterne Begründung hat. Aber das ändert doch nichts an der Tatsache, daß mittlerweile vierzehn Menschen binnen 30 Stunden auf schaurige Weise umgebracht worden sind. Bill, ich finde, wir sind es dem Chef schuldig, daß wir ihm nachfahren.«
»Und weiter?«
»Wir müssen ihm bis in die Biskaya folgen, um einspringen zu können, falls er angegriffen wird. Er wollte mich nicht dabeihaben. Aber daß ich mir Sorgen mache, kann er nicht verhindern.« Nicole stieß energisch den Zigarettenrauch aus. »Waffen gibt es auf Château Montagne genug. Ich schlage vor, wir nehmen zwei Pistolen und zwei Gewehre.«
»Aber…«
»Wollen Sie kneifen?«
»Ach was, Nicole. Fahren wir. Alles Weitere können Sie mir unterwegs erzählen.«
So kam es,
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