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0015 - Der Morddämon

0015 - Der Morddämon

Titel: 0015 - Der Morddämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Traute Maahn
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Landungssteg.
    Sie trug ein Kostüm aus dem Jahre 1875, spannte einen kleinen Sonnenschirm aus Chinaseide auf und stellte sich unweit der Kamera – nur wenige Yard entfernt – auf.
    »Du bist gekommen, um dich von deinen Verwandten zu verabschieden«, murmelte der Regisseur. »Und gerade jetzt, wo du auf sie wartest, wird dir klar, daß du im Begriff stehst, nach Amerika zu heiraten. Du wirst sie vielleicht niemals wiedersehen.«
    Der Regisseur nickte dem Kamerateam zu.
    »Können wir?«
    »Okay, Rock, wir können!« rief Kameramann Ken Kinsly.
    Der Anblick war phänomenal, die altmodischen Dschunken im Hintergrund, die Halbinsel Kowloon dahinter und vorn die schöne Nancy Chaokin in dem farbenprächtigen Kostüm und dem bunten Sonnenschirm.
    »Drängt doch die neugierigen Gaffer zurück«, erboste sich der Regisseur. »Ton ab – Klappe…«
    »43 zum dritten!« rief einer der Regieassistenten und ließ die Klappe fallen.
    Scheinwerfer erfaßten Nancy.
    Sie hob den Kopf. Sie warf einen wehmütigen Blick an der Kamera vorbei. Ihre Augen weiteten sich. Ihr Mund bewegte sich lautlos.
    Ihr Spiel war hervorragend. Sie drückte ihre Gefühle aus, ohne ein Wort zu sagen.
    Die Kamera surrte leise.
    Über die Mikrofone nahmen die Techniker die Hafengeräusche auf.
    Rock Lemmon ließ Nancy weiterspielen. Sie war heute großartig in Form. Ihr verhaltenes Gesicht war Klasse.
    Klar, sie zog die Szene in die Länge, aber hinterher konnte man die schwachen Stellen rausschneiden.
    Warum starrte sie bloß so stur an der Kamera vorüber?
    Und jetzt übertrieb Nancy wohl ein bißchen. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Der Regisseur bemerkte, wie sie langsam auf dem Landungssteg rückwärts ging.
    Zugegeben , dachte er, es ist eine starke Szene, es ist phänomenal, wie sie das macht, aber soviel Zeit haben wir für den Schinken nicht zur Verfü-
    gung, maximal bloß eine Stunde.
    Er öffnete den Mund, um die Aufnahme abzubrechen, denn wenn Nancy weiter rückwärts auf dem Steg ging, würde sie Bekanntschaft mit dem kloakigen, übelriechenden Hafenwasser machen. Plötzlich bemerkte der Regisseur den Mann.
    Er ging mit langsamen, aber festen Schritten auf den Landungssteg zu, kümmerte sich nicht um die Kamera, die ihn jetzt von hinten erfaßte, sondern betrat nun auch den Landungssteg.
    Die Empörung über ein solches Verhalten machte den Regisseur sprachlos. Er krächzte nur.
    Atemloses Schweigen hatte sich über die Menge gelegt, über das achtköpfige technische Filmteam und die Zuschauer, die sich vor allem aus Fischern und ihren Familien, Touristen und einigen Europäern zusammensetzten.
    Nancy hatte den Rand des Landungsstegs erreicht.
    Noch einen Schritt, dachten alle, und sie fliegt ins Wasser.
    Der Mann war stehengeblieben. Er war jetzt nur eine Armlänge von ihr entfernt.
    Er streckte den Arm aus.
    »Was, zum Teufel, will er von ihr?« murmelte der Kameramann Kinsly heiser.
    ***
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« fragte Nancy. Ihr Herz flatterte.
    »Ich komme von Ming-Li, dem großen Erlauchten«, gab Stephen McTrash mit schleppender Stimme zur Antwort. »Du hast ihn beleidigt. Du hast das Ansehen von Cathay in den Schmutz gezogen.«
    »Cathay?« stammelte Nancy.
    »Ja. Das große Reich von damals wird wiederauferstehen. Das Reich des Kublai Chan, Nancy Chaokin. Das Reich von Ming-Li…«
    Zwei Kameraassistenten, die auf einen Wink des Regisseurs auf den Landungssteg traten, hörten diese Worte und blieben wie von einem Schlag getroffen stehen.
    War hier vielleicht die Probe für einen anderen Film? Zu dem Fernsehspiel »Bye, bye, Blütenreich!« paßte dieser Text jedenfalls nicht, wenn er auch den beiden jungen smarten Amerikanern recht wirkungsvoll vorkam.
    »Was haben Sie mit allem zu tun?« stammelte Nancy. »Wer sind Sie? Sie sind doch kein Mongole.«
    »Ich bin ein Untertan von Cathay.« Stephen McTrash hob die Hände, und er entdeckte, daß ihm lange klingenartige Krallen gewachsen waren. Seine Hände unterschieden sich in nichts mehr von denen der Changs.
    Er stieß ein lautes tierisches Gebrüll aus, dann packte er im allerletzten Augenblick Nancy Chaokin und verhinderte, daß sie ins Hafenwasser stürzte.
    Doch er rettete sie nur, um sie zu töten.
    Alles spielte sich in wenigen Sekunden ab und lähmte die Menge, die zusehen mußte, ohne eingreifen zu können.
    Blitzschnell fuhr McTrash der jungen Chinesin über die linke Wange und hinterließ eine blutige Spur.
    Nancy schrie gellend auf.
    Doch McTrash

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