0015 - Ich starb um elf Uhr zwanzig
daß uns keiner sah. Bevor sie mit ihrer empörten Schreierei fertig geworden war, hatte ich ihr meine Hand sanft aber deutlich auf das bemalte Mäulchen gelegt und sie ins Zimmer gezogen. Phil schloß hinter uns die Tür.
»Erstens: Ich bin Cotton vom FBI«, sagte ich hart. »Zweitens: Harry ist tot.«
So schnell konnte sie nicht aufnehmen. Zuerst blieb sie erst einmal schüchtern auf der Couch sitzen und starrte uns aus erschrockenen Augen an. Dann hatte sie kapiert, was ich ihr erzählt hatte. Jetzt kamen die üblichen Tränen. Wir hörten überhaupt nicht hin, was sie mit hysterischem Schluchzen quittierte. Ihr Tränenstrom reichte für die beachtliche Zeit von fast einer Viertelstunde.
Phil untersuchte indessen die wundervoll eingerichtete Zweizimmerwohnung. Er hatte natürlich den richtigen Riecher und erschien nach kurzer Zeit mit einer Flasche echten Scotch und drei Gläsern.
»Sie haben sicher nichts dagegen, wenn wir einen Drink annehmen?« sagte er höflich.
Da sie keine Antwort gab und immer noch heulte, hielt er es für eine Zustimmung und schenkte ein. Wir nippten an unseren Gläsern und warteten darauf, daß sie ihre Komödie endlich aufgab. Es kam blitzartig.
Sie sprang plötzlich auf und zeigte zur Tür.
»Hinaus!« schrie sie mit sich überschlagender Stimme. »Hinaus, ihr verdammten Schnüffler! Ihr wollt mich bloß reinlegen! Harry ist nicht tot! Der wird mit euch allemal fertig!«
Sie schien ihren Harry wohl für eine Art gehörnten Siegfried zu halten. Wir sagten gar nichts dazu.
Sie ging auf Phil zu und riß an seinen Rockaufschlägen. Sie bekam ihn natürlich nicht aus dem Sessel heraus. Phil grinste nur. Endlich gab sie es auf und wurde vernünftig.
Das heißt, sie warf sich wieder auf die Couch und fing von neuem an zu weinen. Aber diesmal waren die Tränen echt, das konnte man spüren. Wir warteten auch diesen Tränenstrom noch ab. Als er beendet war, legte ich los.
Ich stellte das Glas zurück auf den Tisch.
»Wie heißen Sie?« fragte ich leise und sachlich.
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Okay, Sie können sich die Methode heraussuchen. Wenn Sie uns nicht sagen wollen, wie Sie heißen, dann müssen wir Sie mit zum FBI nehmen. Wir haben da verschiedene nette Zimmerchen mit vergitterten Fenstern und vorgeschriebenen Besuchszeiten. Dort können-Sie so lange nachdenken, bis Ihnen Ihr Name eingefallen ist.«
Sie warf mir einen Blick zu, der mich sicher umgebracht hätte, wenn Blicke das überhaupt könnten. Als sie sah, daß ich schon Anstalten machte, mich zu erheben, sagte sie schnell:
»Linda Dorell.«
»Warum nicht gleich so!« stöhnte Phil.
»Sie waren mit Harry Meiling befreundet, nicht?«
»Befreundet ist übertrieben«, behauptete sie.
»Sicher«, nickte ich. »Sie kannten ihn ganz oberflächlich.«
»Richtig.«
»Deswegen sitzen Sie ja auch in einem Morgenmantel in seiner Wohnung, nicht?«
Sie biß sich auf die Lippen.
»Also jetzt hören Sie auf zu schwindeln«, sagte ich. »Sonst nehmen wir Sie doch noch mit. Sagen Sie die Wahrheit.«
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Eine ganze Menge! Mit wem war Harry befreundet?«
»Ich kannte seine Freunde nicht.«
Ich stand auf.
»Ich nehme an, daß Sie sich innerhalb von drei Minuten anziehen können. In einen kleinen Köfferchen können Sie sich ein bißchen Wäsche, Zahnbürste und so weiter mitnehmen.«
Sie war so dumm, daß sie noch immer nicht begriff.
»Wieso?«
»Weil ich keine Lust habe, mir länger Ihre Ahnungslosigkeit anzuhören. Wir nehmen Sie mit zum FBI. Morgen früh besorge ich mir einen Haftbefehl für Sie auf unbestimmte Zeit. Mein Name hat Gewicht bei den Richtern, das können Sie mir glauben. Ich bekomme jederzeit einen Haftbefehl gegen die Freundin eines Mannes, der mit zwei anderen versuchte, mich umzubringen.«
Sie versprach natürlich hoch und heilig, daß sie jetzt die Wahrheit sagen würde. Aber ich hatte keine Lust mehr. Nach drei Minuten würde sie wieder genauso schwindeln wie bisher. Ich blieb hart. Mitten in ihr Seufzen und Klagen hinein summte plötzlich die Türglocke.
Phil und ich sprangen auf und holten unsere Pistolen heraus.
»Machen Sie die Tür auf und fordern Sie auf, einzutreten, wer es auch sei!« flüsterte ich ihr zu. »Wenn Sie nicht genau das tun, was ich Ihnen gesagt habe, könnten Sie verdammt Pech haben!«
Sie sah ein bißchen ängstlich auf unsere Schießeisen, bevor sie zaghaft zur Tür ging. Phil und ich bauten uns rechts und links neben der Tür auf mit
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