0016 - Das Mädchen von Atlantis
um meine Kehle und drückte eisenhart zu. Ich hob die Arme, wollte den Tentakel umklammern, doch meine Hand faßte durch ihn hindurch. Für mich war er nicht existent. Ich aber für ihn. Diese Erkenntnis war grausam. Überschüttete mich mit Angst. Die Luft wurde mir knapp.
Dicht vor meinen Augen sah ich ein fratzenhaftes Gebilde auftauchen. Es glich einer riesigen Kugel. Darauf saß ein häßlicher behaarter Schädel. Das Monster hielt ein langes Messer in der Hand.
Alpträume wurden für mich wahr.
In einer letzten verzweifelten Aktion riß ich meine mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta aus der Halfter. Ich wußte nicht, ob es Zweck hatte zu schießen, ich wollte aber nicht tatenlos herumstehen.
Ich feuerte, drehte dabei den Arm. Die erste Kugel setzte ich in das Gesicht des Monsters. Es verzerrte sich. Das zweite Geschoß jagte ich einem anderen Geschöpf in den häßlich aufgerissenen Rachen, und dann verfeuerte ich alle anderen Kugeln mit rasender Geschwindigkeit.
Der Druck an meinem Hals lockerte sich, war einen Lidschlag später ganz verflogen.
Ich konnte wieder atmen. Frei und unbeschwert.
Hatten die Silberkugeln gewirkt? Die Schwäche trieb mich dem Boden entgegen. Neben mir tauchte plötzlich eine hünenhafte Gestalt auf. Suko!
Ich sah ihn wie durch einen blinden Spiegel. Er packte mich an den Schultern, schrie in mein linkes Ohr. »Hoch mit dir! Los!«
Suko warf mich einfach vor, auf einen Rauchvorhang zu und dann hinein in das Pentagramm. Auf Händen und Knien blieb ich hocken.
Suko streckte die rechte Hand aus. Ich ergriff sie und ließ mich von dem Chinesen auf die Beine ziehen.
Jetzt sah ich nur noch Kiriakis. Mit angewinkelten Beinen hockte er auf dem Boden. Er hatte die Arme vorgestreckt und die Finger gespreizt. Er saß genau in der Mitte des Sterns.
»Es wird schwer sein«, hörten wir seine Stimme. »Sehr schwer sogar. Die Mächte der Finsternis haben sich gesammelt, sie sind stark geworden und schon bei mir eingedrungen. Aber ich habe es vorausgesehen. Ich wußte es. Es mußte so kommen. Der Kampf ist nun nicht mehr zu vermeiden. Gut und Böse prallen aufeinander. Der Schwarze Tod ist mächtig, und auch Azarin ist stark. Ich allein trage die Schuld. Ich allein…«
Ich faßte nach seiner Schulter. »Warum du? Warum machst du dir Vorwürfe, mein Freund?«
»Ich hätte Azarin nicht gehen lassen sollen.« Überrascht blickten Suko und ich uns an. »Du kennst ihn?« fragte ich leise.
»Ja, sogar sehr gut.« Er nickte bei diesen Worten. Wir ließen ihm Zeit zu einer Erklärung. Ich ahnte, daß Kiriakis uns ein Geheimnis offenbaren wollte. Ich täuschte mich nicht.
Nach einer Minute des Schweigens rückte er damit heraus. Weit riß er den Mund auf.
Und dann schrie er: »Azarin ist mein Sohn! Er ist mein leiblicher Sohn!«
Mich traf es wie ein Schock. Neben mir flüsterte Suko: »Mein Gott…«
»Er darf es nicht schaffen!« brüllte Kiriakis. »Er darf es nicht! Wir müssen es verhindern. Versprecht es mir! Wir müssen…« Plötzlich verstummte er.
Im selben Augenblick zuckte ein Lichtblitz in die Höhe, hüllte uns ein, der Boden versank, wir fielen und fielen… Der Schacht der Dimensionen hatte uns gefangen…
***
Jane kam auf die Füße. Ihr Fluchtversuch hatte die Handlungen der untoten Mädchen gestoppt. Sandra Moran stand drei Schritte von ihrem Ebenbild und wartete auf weitere Anordnungen.
»Geh weiter!« befahl Azarin. Er blieb jetzt neben Jane stehen, um sie immer im Auge haben zu können. Er wollte nicht noch einmal eine Unterbrechung des magischen Schauspiels riskieren. Gehorsam setzte sich Sandra in Bewegung, begleitet von den fiebernden Blicken der anderen beiden Wiedergängerinnen. In deren Augen war so etwas wie Leben gekommen. Sie wachten auf, jetzt, wo die Stunde der Entscheidung dicht bevorstand. Sandra erreichte ihr Ebenbild.
Totenstill war es in der Höhle geworden. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Würde die Symbiose gelingen? Würde sich die perfekt nachmodellierte Statue mit der untoten Sandra Moran vereinigen?
Sandra hob die Hände. Mit den Innenflächen modellierte sie den glatten Körper der Statue nach, presste sich dann eng an dieses kalte Gebilde, und ein tiefes Stöhnen drang aus ihrem weit geöffneten Mund.
Plötzlich begann das blaue Licht zu sprühen und zu zischen. Jane drehte den Kopf zur Seite, so sehr wurde sie geblendet. Neben sich hörte sie Azarin heftig atmen. Und seine rauhe flüsternde Stimme.
»Es gelingt.
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