0019 - Ich - und der große Ausbruch
Dorf fort.
Der Regen wurde heftiger. Sein Gesicht war naß, als hätte er gebadet. Die Nacht war so dunkel, daß er fast nichts sah. Ein paarmal stieg Angst in ihm auf, aber er schluckte sie tapfer hinunter. Erst als er an einen Strauch stieß, kauerte er sich dahinter, knöpfte seine Jacke auf, entzündete ein Streichholz und studierte in seinem Schein den Kompaß und die von seinem Onkel gezeichnete Karte. Er hatte die Lektion gut im Kopf. Er schlug die Richtung ein, die die Nadel ihm wies.
»Bis zum Morgen muß ich die G-men erreicht haben«, murmelte er leise vor sich hin und schritt kräftig aus. Der schwere Boden des Ackerlandes klebte an seinen Schuhen, aber er dachte an jenen alten Pionierspruch: Ein Mann geht so weit, bis er nicht mehr kann, und dann geht er noch einmal so w'eit.
Jimmy Flaubert war entschlossen, sich als Mann zu erweisen.
***
Hallo, war das eine aufregende Woche gewesen, oder waren es jetzt schon zehn Tage? Was immer ich in meinem Leben an Verbrechern gefangen habe, in dieser Woche verdoppelte und verdreifachte sich die Zahl.
In den letzten Tagen begann der Gangsterstrom zu versiegen. Es kamen immer weniger Anrufe. Wir erfuhren, daß ein paar Leute sich nach Chicago durchgeschlagen hatten, aber die Kollegen dort in Chicago reagierten nicht schlechter als wir. Die Herren, die ihr Heil außerhalb New Yorks gesucht hatten, bekamen ein Freifahrtbillett ins State Jail zurück.
Immerhin, an den beiden letzten Tagen kam kein einziger Anruf mehr. Ich telefonierte mit Polder.
»Nichts mehr los bei uns«, sagte ich. »Was sagen deine Listen? Haben wir sie alle?«
»Ich habe die Unterlagen dem Chef gegeben«, antwortete Polder. »Er will sie durcharbeiten. Wahrscheinlich besucht er euch morgen früh.«
Polder behielt recht. Dierks, Phil und ich schliefen noch immer im Hauptquartier, und am Morgen nach dem Telefongespräch mit dem Verwaltungschef besuchte uns Mr. High in unserem Büro. Er kam sehr früh, schon um sieben. Wir saßen noch beim Frühstück aus der Kantine.
»Laßt euch nicht stören, Jungs!« sagte Mr. High, zog sich einen Stuhl heran, nahm einen Berg Papier aus seiner Aktentasche, plauderte mit uns, bis wir bei den Zigaretten angelangt waren.
Dann allerdings wurde es ernst.
»Polder hat mir seinen Papierwust zugeschickt. Ich bekam außerdem die Durchschläge des Untersuchungsrichters über die Vernehmungen der Zuchthäusler, die in irgendeiner Form am Ausbruch beteiligt waren. Sie sind noch nicht vollständig, aber klar genug. Ich habe mich heute nacht mit diesem Papiergebirge befaßt, und ich habe ein paar Schlüsse daraus gezogen, die nicht uninteressant sind.«
Er beugte sich über den Tisch.
»Wir haben innerhalb von zehn Tagen fast alle Ausbrecher eingefangen, fast alle. Die Zahl der Fehlenden ist rund. Genau vierzig Mann, wenn die Listen des Gefängnisses und die Statistik von Polder stimmen, aber daran ist kaum zu zweifeln. Das sind nur ein Prozent der Ausbrecher. Neunundneunzig Prozent haben wir also wieder gefaßt. Erstaunlich hingegen ist die Aussage der Liste, in denen die verlorenen und wiederbeschafften Waffen auf geführt sind. Bei den verhafteten neunundneunzig Prozent der Ausbrecher wurden nur rund fünfzig Prozent der geraubten Waffen gefunden, darunter nicht eine einzige Maschinenpistole. Logischer Schluß: Ein Prozent der ausgebrochenen Zuchthäusler hat sich rund fünfzig Prozent der Waffen angeeignet, oder mit anderen Worten: Die noch nicht wieder eingefangenen vierzig Mann sind ungewöhnlich stark bewaffnet.«
Mr. High sortierte seine Papiere und sprach weiter.
»Das sind die Schlüsse, die sich aus den Zahlen ergeben. Noch anders und genauer lautet das, was sich nach den Aussagen der Gestellten ergibt. Organisator des Aufstandes im State Jail war zweifelsfrei ein gewisser Frederic Collin, Collin war rechte Hand des Racketbosses Rhandom. Ihr wißt, Rhandom wurde unter nie ganz geklärten Umständen ermordet. Die Richter sprachen seinerzeit die Vermutung aus, daß er von seinen eigenen Leuten umgebracht wurde. Wahrscheinlich hatte Collin die Hand im Spiel. Leider konnte es ihm nicht nachgewiesen werden, aber Rhandom, der offenbar geahnt hatte, daß er sich auf seine eigenen Leute nicht verlassen konnte, hatte dafür gesorgt, daß beweiskräftige Unterlagen über alle Taten seiner Bande und ihrer Mitglieder an einem sicheren Ort deponiert worden waren. Diese Unterlagen gelangten nach seinem Tod in unsere Hand. Es gab einen großen Prozeß, in dessen
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