002 - Stadt der Verdammten
eine lange spitze Nase. Ihre Lippen waren grau und schmal. So schmal, dass sie das gelbliche Gebiss der Soldaten nicht bedecken konnten. Ihre Zähne waren spitz zugefeilt.
Sie trugen keinen Chininhelm wie der Wulfanensoldat zwischen ihnen, sondern rotbraune Lederkappen. Wie verkümmerte Pilze ragten Ohrmuschelstummel aus den Seiten ihrer schmalen Schädel. Sie gehörten zu einem nicht sehr zahlreichen Volk, das am Hang des Eisgebirges in Felshöhlen hauste. Widerliche Kreaturen, mit denen Drulias Urgroßvater schon vor dem Krieg ein Bündnis geschlossen hatte. »Was wollt ihr?«, krächzte sie.
»Deine Mutter schickt uns. Sie wünscht dich zu sprechen.«
Endlich. Drulza quälte sich aus dem Sitz und die vier Stufen hinunter. Der Wulfane lief vor ihr her. Die beiden Nackthäute flankierten sie, achteten aber darauf, dass sie immer einen halben Schritt hinter ihr blieben.
Mit der Linken stützte sich Drulza gegen die Wand, während sie Stufe um Stufe hinabstieg. Früher hatte die Treppe ein Geländer besessen. Jedenfalls hatte Drulzas Großmutter das erzählt.
Auf der letzten Stufe kam sie ins Straucheln. Die fahle Nackthaut rechts hinter ihr griff nach ihrem Arm und hielt sie gerade noch fest.
Bei der kurzen Berührung; sträubte sich Drulzas Nackenhaar. Sie knurrte missmutig und machte sich los.Manchmal verfluchte sie die Extravaganz ihrer Mutter. Nicht allein, dass sie sich eine besondere Garde von etwa zwanzig Soldaten hielt; das stand ihr als Hexe zu.
Aber sie hatte für ihre Leibgarde fast ein Dutzend Fremde rekrutiert. Diese beiden fahlen Nackthäute zum Beispiel. Dazu hünenhafte Kämpfer aus dem äußersten Südland, bei deren Anblick Drulza regelmäßig das Wasser im Schlund zusammenlief.
Sogar einen Taratzenkönig hatte die Hexe vor Jahren in ihre Leibgarde aufgenommen.
Der war glücklicherweise bald einem Attentat zum Opfer gefallen. Und heimlich auf Krallzeks Grillrost gelangt.
Drulza hinkte über den Hof. Vor Lederzelten und um Lagerfeuer hockten die Wulfanensoldaten. Sie sprangen auf, als sie die Obermutter erkannten. Fäuste reckten sich in die Luft. »Lang lebe die Obermutter«, krähte es aus vierzig Schlünden.
Drulza winkte flüchtig und knurrte einen Gruß. Ihre Begleiter führten sie über den von gelbem Gras und Gestrüpp überwucherten Platz. Zerbrochene Steinplatten wackelten unter ihren Fußsohlen. Wie fast alle Wulfanen lief Drulza barfuß.
Die brüchige Fassade der Ruine, zu der Urgazas Turm gehörte, war in der ganzen unteren Hälfte durch Säulenbögen durchbrochen. Vier der Säulen waren im Lauf der letzten Generationen durch gerade Eichenstämme ersetzt worden. Anders ließ sich der brüchige Balkon auf halber Höhe der Hausfassade auf Dauer nicht abstützen.
Auf dem Balkon lehnten zahlreiche Wachposten an Birken und andere Bäume. Säulen und Stämme unter dem Balkon waren vollständig von Efeu und Brombeerhecken umwuchert.
Drulza und ihr Begleittrupp schritten unter den Säulen hindurch und betraten das riesige Gemäuer. Die Decke zum Saal des zweiten Stockwerkes war auf halber Fläche durchbrochen. Ein gewaltiger Eichenstamm ragte vom Boden durch das zweite Stockwerk bis zum Dach hinaus. Die Krone des Baumes füllte fast den gesamten Dachstuhl aus. Im ersten Stock war ein Teil von Krallzeks Truppen untergebracht. Mitsamt Waffen und Vorratszellen. Letztere allesamt leer.
Ein Bastkorb wurde an einem Lederseil aus dem zweiten Stock herabgelassen. Drulza und ihr wulfanischer Begleiter kletterten hinein.
Über ihnen quietschten die Räder eines eisernen Flaschenzuges, als vier Soldaten der Hexengarde sie nach oben zogen.
Oben half der Wulfane ihr aus dem Korb. Sie sah sich um. Wulfanenkinder wieselten herum, spielten mit sandgefüllten Lederbällen oder Holzschwertern. Auffallend viele Wulfanenfrauen entdeckte Drulza.
Manche säugten Kinder, andere verrichteten Handarbeiten und striegelten sich das Körperhaar.
Angehörige der Hexengarde hatten das Recht, so oft eine Frau zu besteigen, wie ihnen der Sinn danach stand. Auch so eine Extravaganz ihrer Mutter. Unter Krallzeks Truppen kam so etwas nicht in Frage. Dort wurden die Soldaten, die zur Begattung zugelassen wurden, nach strengen Maßstäben ausgewählt.
Auch fremde Gardisten entdeckte Drulza. Einen der appetitlichen Südländer zum Beispiel. Seine Haut war fast schwarz, auf dem Schädel und auf den Schultern wucherten ihm schwarze Locken. Drulza wandte sich seufzend ab. Sobald die letzten Vorräte aufgebraucht
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