0024 - Bestien aus dem Schattenreich
Meinung. Seien Sie mir nicht böse…«
»Warum sollte ich? Ich hoffe sogar in Ihrem eigenen Interesse, dass die Ereignisse Sie nicht zwingen, Ihre Meinung zu ändern, Monsieur. Sie haben einen Erpresserbrief bekommen?«
Colombes Kinn schob sich vor. Er fragte nicht, was Zamorras Anwesenheit überhaupt zu bedeuten habe.
Didiers Erklärung, dass es sich um einen Experten handle, hatte ihm genügt. Mit einer Geste seines schweren Schädels wies er auf den Schreibtisch, auf dem ein einfaches kariertes Papierblatt lag.
»Da ist der Wisch«, knurrte er. »Aus Zeitungsausschnitten zusammengestückelt! Wie in einem schlechten Film!«
Zamorra vermied es, das Blatt zu berühren, um keine Spuren zu zerstören. Er beugte sich vor, entzifferte den Text – und sein psychologisch geschulter Verstand versuchte sofort, Rückschlüsse auf den Urheber zu ziehen.
Ein schlichter, etwas ungelenker Satzbau – das mochte möglicherweise auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass die einzelnen Wörter aus Zeitungen herausgeschnitten worden waren.
Der Schreiber wusste, was er wollte, so viel stand fest. Seine Anweisungen waren klar und eindeutig. Ein paar Ausrutscher in der Wortwahl verrieten, dass sich der Absender des Briefes normalerweise drastischer auszudrücken pflegte, in der Unterschrift brach Geltungssucht durch. Als sich Zamorra wieder aufrichtete, sah er bereits ein recht plastisches und – was er nicht wissen konnte – wirklichkeitsnahes Bild des Briefschreibers vor Augen.
»Ein Gangster«, sagte er leise. »Ich möchte schwören, dass dieser Brief von einem professionellen Gangster geschrieben wurde.«
»Und woraus schließen Sie das? Ist es eine Art Ahnung?«
Kommissar Didier hatte die Frage gestellt. Zamorra lächelte leicht.
»Nein, Commissaire. Aber manchmal kann man nicht nur von der Handschrift, sondern auch von Stil und Wortwahl her auf die Psyche eines Menschen schließen. Ich würde auf einen Gangster der Mittelklasse tippen – nicht wirklich groß, aber doch groß genug, um einen Coup clever zu planen und hart durchzuziehen.«
Didiers Augen waren schmal. Er wiegte den Kopf.
»Schön«, sagte er schließlich. »Also jemand, der lediglich die allgemeine Angst ausnutzen will, um seine eigene Suppe zu kochen, oder?«
Zamorra antwortete nicht sofort.
Didier hatte Recht – die Vermutung lag nahe, dass dies ein ganz gewöhnliches Gangsterstück war, das mit dem Wolfsüberfall in den Tuilerien und dem Blutbad in der Villa Brasseur nur in sofern zusammenhing, als der Urheber sich von den Ereignissen hatte inspirieren lassen. Ein gewöhnlicher Pariser Ganove im Bund mit den Mächten der Hölle – das war ein zu abenteuerlicher Gedanke. Zamorra hätte ihn sofort von sich gewiesen, hätte dem Kommissar zugestimmt – aber da war trotz allem etwas, das ihn störte.
Er konnte es nicht erklären.
Es war keine Ahnung – es war weniger und gleichzeitig mehr als das. Zamorra spürte die drohende Gefahr so deutlich, wie er in einem dunklen Raum die Anwesenheit eines Menschen dicht neben sich gespürt hätte. Sein Blick glitt zu Colombe hinüber – Der hünenhafte Industrielle stand breitbeinig da, mit vorgeschobener Kinnlade, ein Urbild der Unerschütterlichkeit. Und dennoch schien ihn eine seltsame Atmosphäre zu umgeben, ein unsichtbarer Vorhang, der ihn von seiner Umwelt trennte, ohne dass er es merkte – der Hauch des nahenden Todes. Zamorra presste die Lippen zusammen. Dieses Gespür für verborgenes Unheil war der oft am schwersten zu ertragende Teil seiner besonderen Begabung. Mit einem tiefen Atemzug nahm er sich zusammen und wandte sich dem Hünen zu.
»Was haben Sie jetzt vor, Monsieur?«, wollte er wissen.
Pierre Colombe zuckte die Achseln. »Gar nichts. Das ist doch alles ein schlechter Witz! Oder glauben Sie vielleicht im Ernst, ich würde mich mit zwanzigtausend Francs auf den Weg machen?«
»Erpressung ist immerhin ein Verbrechen«, schaltete sich Didier ein. »Wir müssen den Absender dieses Briefes ausfindig machen.«
»Dann schicken Sie doch einen Ihrer Leute in meiner Rolle in das Bistro und lassen ihn auf die versprochenen Anweisungen warten, Commissaire. Ich jedenfalls habe nicht die geringste Lust, mich irgendwie zu engagieren. Inzwischen bin ich soweit zu dem Ergebnis gekommen, dass es überflüssig war, wegen dieses lächerlichen Wisches die Pferde scheu zu machen.«
Zamorra versuchte, den Blick des Hünen festzuhalten. »Sie sollten es nicht allzu leicht nehmen, Monsieur«, sagte
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