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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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in Stamperln, sondern in Kürbisschalen. Christofero Uvaldes beschwörender Blick signalisierte, daß es hier um die feierliche, traditionelle Besiegelung eines Vertrages ging, und selbst Nicole spürte das und versuchte nicht, sich gegen den ungewohnten Alkohol zu wehren.
    Erst als sie gegen Abend in dem überraschend großen Gästehaus alleingelassen wurden, kam Uvalde dazu, sie genauer über das Ergebnis der Unterredung zu informieren.
    Der mexikanische Historiker atmete tief und schüttelte den Kopf, wie um die leisen Nachwirkungen des Tequila loszuwerden.
    »Tuxai ist bereit, Sie ins heilige Tal zu führen, nachdem ich ihm erklärt habe, daß Sie ein Freund von Señor Flemming sind«, meinte er.
    »Sie können gleich morgen früh starten. Machen Sie sich keine Sorgen – der alte Mann ist zäher als ein Muli und kennt die Sierra wie seine Westentasche.«
    »Er schien ziemlich entsetzt von unserem Ansinnen zu sein, oder?«
    Uvalde stutzte – dann lächelte er.
    »Allerdings«, sagte er mit einem verhaltenen Gähnen. »Tuxai war entsetzt von der Vorstellung, in einen Hubschrauber steigen zu müssen – es ist das erstemal in seinem Leben. Glücklicherweise konnte ich ihn dann doch davon überzeugen, daß nichts Schlechtes an dem Versuch sein kann, Quetzalcóatl nachzustreben und wie die gefiederte Schlange zu fliegen…«
    ***
    Für Bill Fleming verwandelte sich das Dasein in einen makabren Alptraum: Seine Uhr war stehengeblieben, er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
    Merkwürdigerweise konnte er sich völlig frei bewegen. Niemand hinderte ihn an seinen verzweifelten Streifzügen auf der Suche nach einem Ausweg, den er nicht fand und den es vielleicht nicht gab.
    Die grün schillernden Skelette, an deren schrecklichen Anblick er sich soweit gewöhnt hatte, wie das überhaupt möglich war, wichen ihm respektvoll aus, wenn sie ihm begegneten – und allmählich festigte sich in ihm die Überzeugung, daß die Diener des Tukákame ihm tatsächlich irgendeine wichtige Rolle in ihrem unterirdischen Reich zugedacht hatten.
    Der Gedanke erfüllte ihn mit Schaudern.
    Noch war er sicher.
    Aber er ahnte, daß man irgendwann mehr von ihm verlangen würde als bloße Untätigkeit – und daß dann die Stunde der Wahrheit kam.
    Wenn es ihm bis dahin nicht gelang, diese verdammte Höhle zu verlassen!
    Er mußte es schaffen! Er mußte einfach! Alle seine Gedanken konzentrierten sich auf dieses Ziel, blindlings und verzweifelt stolperte er immer wieder durch Gänge, Tunnel und Grotten – aber er begriff schnell, daß er auf diese Weise keine Chance hatte.
    Sein Versuch, Kontakt mit der jungen Huichol aufzunehmen, die als Opfer für Tukákame vorgesehen war, schlug fehl.
    Sie verstand kein Spanisch, er war der Sprache ihres Volksstamms nicht mächtig. Außerdem gab es da noch die unheimlichen gefiederten Schlangen. Sie griffen ihn zwar nicht an, züngelten lediglich hoch, sobald er in die Nähe kam – aber bisher hatte er den Versuch noch nicht gewagt, die Kette der todbringenden Wächter zu durchbrechen.
    Als er irgendwann in der Schwärze eines abzweigenden Ganges stand und die schweigende Versammlung um den Steinsessel des Goldenen Puma beobachtete, wußte er nicht einmal ob es Morgen oder Abend war.
    Seiner Schätzung nach mußten es mindestens hundert Skelette sein, die zu einem geisterhaften Aufmarsch zusammengekommen waren. Einige von ihnen, zehn oder fünfzehn vielleicht, waren größer als die anderen, wirkten kräftiger, schritten rascher aus. Bill Fleming ahnte nicht, daß es die Knochenmänner waren, die das Blut der unglücklichen Huichol getrunken hatten – aber er spürte instinktiv, daß dieser Gruppe eine besondere Bedeutung zukam.
    Der Goldene Puma sprach zu ihnen. Seine Stimme hallte laut durch das Gewölbe. Den versteckten Zuhörer schien er entweder nicht zu bemerken, oder aber er war ihm gleichgültig.
    »Heute ist die Nacht der Bewährung!« rief er. »Ihr werdet gehen und Tukákame ein Opfer holen. Das Blut der Sklaven hat euch stark gemacht – stark genug, um Raum und Zeit zu überbrücken. Geht, meine Diener! Geht und holt das Opfer, das nötig ist, damit der Fluch erfüllt wird und Tukákame auf die Welt zurückkommt…«
    Die Skelette neigten die Köpfe.
    Schweigend wandten sie sich ab, strebten auf einen der vielen Gänge zu, die von der Grotte abzweigten, und ihre unheimlichen Komplizen zerstreuten sich in alle Richtungen.
    Der Goldene Puma war wieder zur stummen Statue erstarrt.
    Bill Fleming

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