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003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alphonse Brutsche
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ihres Bademantels über den kleinen Brüsten zu.
    »Es … tut mir wirklich sehr leid«, sagte Pierre mit aufrichtigem Bedauern, »dass ich Sie so spät noch stören muss. Aber als ich eben nach Hause gekommen bin, brannte Licht bei mir. Und ich wollte gern wissen, ob Sie nicht vielleicht jemanden gesehen haben.«
    »Licht hat gebrannt?« Die junge Frau machte große Augen und schob sich das Haar aus der Stirn.
    »Ja, und ich … ich erwarte nämlich Besuch. Eine entfernte Verwandte. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob während meiner Abwesenheit nicht jemand hier war.«
    »Ach so …« Die junge Frau unterdrückte ein Gähnen. »Ich habe niemand gesehen, aber ich werde mal meinen Mann fragen.« Sie wandte sich um und rief in die Wohnung hinein: »André! Herr Merlin ist da und möchte wissen, ob jemand nach ihm gefragt hat.«
    »Ich weiß nicht … nein … niemand«, erwiderte eine mürrische Stimme aus der Tiefe der Wohnung.
    »Niemand, aha …«, sagte Pierre. »Dann will ich Sie nicht länger stören. Entschuldigen Sie bitte. Und … hm … wenn vielleicht morgen jemand nach mir fragt, und ich bin nicht da …«
    »Ja?« sagte Frau Martin.
    »Claire, kommst du jetzt endlich?« ertönte von drinnen die ärgerliche Stimme des Mannes.
    »Ich gehe schon«, sagte Pierre hastig. »Entschuldigen Sie bitte.«
    Mit einem gequälten Lächeln zog er sich zurück. Claire Martin sah ihm noch einen Moment erstaunt nach, dann schloss sie die Tür.
    Pierre stieg eilig die Treppe hinauf. Er war selbst ganz erstaunt über das, was er getan hatte, und ärgerte sich gleichzeitig über sich. Soweit war er also schon gekommen, dass er seine Nachbarn mitten in der Nacht aus dem Schlaf riss, um zu sehen, ob seine verrückten Ideen der Wirklichkeit entsprachen oder nicht.
    In seiner Wohnung angelangt, schob er den Riegel vor die Eingangstür. Gleich darauf zog er ihn jedoch wieder zurück. Dann ging er ins Schlafzimmer, entkleidete sich und legte sich ins Bett.
    Er schlief sofort ein, ganz so, als sei dieser Tag nicht anders verlaufen als sonst.
    Am nächsten Morgen, einem Dienstag, ging er wie immer ins Büro. Es war der 15. November. Der Tag verging nicht schneller und nicht langsamer als viele andere. Er wechselte ein paar nichts sagende Worte mit seinen Kollegen, und am Abend kehrte er so schnell wie möglich nach Hause zurück. Der Gedanke, den Friedhof aufzusuchen, kam ihm gar nicht.
    Der Platz der Republik lag verlassen da, und natürlich brannte auch kein Licht bei ihm. Morgens hatte er, ehe er weggegangen war, sich zweimal vergewissert, dass alle Lampen ausgeschaltet waren.
    Es war ein Abend wie jeder andere, und es gelang ihm, sich die phantastischen Gedanken, mit denen er sich am Tag zuvor herumgeschlagen hatte, fernzuhalten. Ehe er ins Bett ging, überlegte er noch, ob er zu den Martins gehen und sich entschuldigen sollte – und vielleicht auch, um zu fragen, ob tagsüber niemand gekommen war. Aber er hütete sich, diese Idee in die Tat umzusetzen.
    Nach diesem ganz gewöhnlichen Tag hatte Pierre die Hoffnung, dass er aus dem phantastischen Alptraum, in dem er die letzte Zeit gelebt hatte, allmählich wieder zu seinem normalen Leben zurückfinde. Als er im Bett lag, versuchte er wieder einmal mit Christine Kontakt aufzunehmen, doch der unsichtbare Faden, der sie miteinander verbunden hatte, war gerissen. Es gelang ihm nicht, die Verbindung wiederherzustellen. Er wusste, dass es eine Weile dauern würde, bis der ehemalige Zustand von neuem hergestellt war.
    Am Mittwoch, dem 16. September, dem Tag danach, hatte sich das Wetter gebessert. Es war wesentlich wärmer geworden, und eine bleiche Sonne schien auf die Dächer der Stadt. Pierre überraschte sich dabei, dass er einen kurzen Spaziergang unternahm, nachdem er in seinem Stammlokal zu Mittag gegessen hatte. Er trug seinen zerdrückten Regenmantel, hatte die Hände in die Taschen gesteckt und ging mit großen Schritten dahin.
    Am Abend aß er wieder auswärts, in dem Bestreben, seine Gewohnheiten etwas zu ändern. Er speiste mit bestem Appetit, und als er sich auf den Heimweg machte, befand er sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch in besserer Verfassung als an den vorangegangenen Tagen.
    Als er durch den Hausflur zur Treppe ging, öffnete sich hinter ihm die Wohnungstür der Martins.
    »Herr Merlin!« rief André Martin.
    Pierre wandte sich um. Er rechnete damit, dass sein Nachbar ihm Vorwürfe wegen der nächtlichen Störung machen würde, aber dieser lächelte

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