0031 - Teufelstrank um Mitternacht
Oberkörper neben einem Busch auftauchen. Mein chinesischer Partner bewegte sich in die von mir aus gesehen entgegengesetzte Richtung. Kommissar Mallmann schlug einen Bogen. Er wollte die Südseite des Schlosses unter die Lupe nehmen.
An das Zirpen der Grillen hatte ich mich schon gewöhnt. Doch irgendwann fiel mir auf, daß keine Grille mehr zirpte und auch kein Vogel sein lustiges Lied sang.
Die Stille war bedrückend. Nur die Insekten summten.
Hinter einem Baumstumpf legte ich eine kleine Pause ein und schaute mich um.
Vor mir befanden sich Fragmente der Burgmauer. Hüfthoch ragten die Reste aus dem im Wind wogenden Gras. Sie waren mit Moos und Pflanzen überwuchert, hatten sich ähnlich einem Chamäleon der Landschaft angepaßt.
Wenn ich die Mauern überkletterte, gelangte ich in den Innenhof des ehemaligen Schlosses. Holzstreben und Steine des wirren Trümmerfeldes waren im Laufe der Zeit von der Natur überwuchert worden. An den Resten des alten Turms rankte Efeu hoch. Dazwischen wuchs wilder Wein.
Ich orientierte mich nach rechts, um den Turm unter die Lupe zu nehmen. Ich hatte gesehen, daß es noch einen Eingang gab und dieser auch offen war.
Ich mußte mich ducken und betrat das Innere des zerfallenen Turms. Von oben her schien mir die Sonne auf den Kopf. Wenn ich einen zweiten Schritt in den Turm hineinmachen wollte, mußte ich klettern. Schutt und Geröll versperrten mir den Weg. Von einer Treppe sah ich nichts mehr.
Hier hielt sich bestimmt niemand versteckt. Es war zwecklos für mich, noch weiterzuforschen. Durch die schießschartenartigen Fenster wehte der Wind und streifte kühl mein Gesicht.
Ich ging wieder hinaus ins Sonnenlicht und überlegte. Daß sich in diesem alten Gemäuer niemand mehr aufhielt, wollte ich einfach nicht glauben. Wo hätte es ein besseres Versteck für Gérard de Besançon gegeben als in diesem Schloß?
Aus Erfahrung wußte ich, daß es unter zahlreichen alten Schlössern Verliese und Geheimgänge gab. Viele Eigentümer wollten sich nicht die Mühe machen und all das Geröll zur Seite räumen, das die Gänge oft verbarrikadierte. Gérard de Besançon hatte die Mühe bestimmt nicht gescheut.
Also weitersuchen.
Vielleicht hatten auch die anderen Glück. Suko besaß für so etwas eine Spürnase.
Ich wollte schon weitergehen, als ich hinter einem Mauerrest eine Bewegung wahrnahm.
Und dann stand sie plötzlich vor mir.
Jane Collins!
***
Aus fünf Schritten Entfernung starrten wir uns an. Sie war schön wie eh und je. Das Sonnenlicht warf goldene Tupfer auf ihr langes ährenfarbenes Haar. Nichts deutete daraufhin, daß mit Jane Collins etwas nicht stimmte, daß sie dem Bösen verfallen war.
»Jane!« hauchte ich.
Sie lächelte und sagte dann: »John! Endlich…«
Beide Arme streckte sie aus. Ich lief auf sie zu, preßte sie an mich, spürte die Rundungen des Körpers, und mich durchrieselte so etwas wie ein leichter elektrischer Schlag. Meine Hände strichen über ihren Rücken. Ich merkte, daß ihre Schultern bebten.
Jane weinte.
»Es ist ja alles gut«, flüsterte ich. »Beruhige dich, Jane, ich weiß, was du durchgemacht hast. Jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben. Suko und Kommissar Mallmann sind ebenfalls hier.«
Jane Collins nickte. Dann fragte sie: »Hast du ein Taschentuch, John?«
»Natürlich.« Ich gab ihr eins.
Ich war so mit Jane Collins beschäftigt, daß ich die Gestalt nicht bemerkte, die hinter einer Mauerecke vorschaute. Es war der Werwolfmensch. Als er uns sah, nickte er zufrieden, verzog dann sein entstelltes Gesicht zu einem bösen Grinsen und verschwand wieder. Er mußte sich um den anderen kümmern. Den Chinesen wollte sich der Vampir vornehmen. Leider konnte Jean nicht ans Tageslicht, der Chinese mußte also in die Dunkelheit der Gewölbe gelockt werden.
Ich hatte tausend Fragen an Jane, wartete aber ab, bis sie sich beruhigt hatte.
Wir setzten uns auf einen Mauerrest. Warm schien die Sonne in unsere Gesichter. Jane machte eine Kopfbewegung und warf die Haare zurück. »Ich muß ja schrecklich aussehen«, flüsterte sie und zog die Nase hoch.
»Für mich bist du die schönste Frau der Welt«, erwiderte ich.
»Schmeichler.« Ihre Hand fand die meine. Janes Haut war warm. Nichts von der Starre einer Untoten. In mir stiegen die Zweifel hoch. Hatte ich mich getäuscht? War Jane Collins gar nicht besessen? Hatte der Dämon es letzten Endes doch nicht geschafft, ihren Willen zu durchbrechen? Ich kannte Jane schon sehr lange, und sie
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