0032 - Der Schädeljäger
Rovel!« erwiderte Zamorra ruppig. »Denken Sie an Nicole. Wenn sie noch lebt, dann ist es wichtig, daß wir sie so schnell wie möglich finden. Wenn sie aber nicht mehr lebt, ist es genauso wichtig, weitere Dämonenmorde zu verhindern.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Professor!«
»Deshalb werde ich mir diese Zeremonie der Verdammten aus der Nähe ansehen. Und ich werde eingreifen, sobald das Leben eines Menschen gefährdet ist.«
Rovel nickte zustimmend.
»Ich komme mit!«
»Sie bleiben hier!« entschied Zamorra und schüttelte grimmig den Kopf.
»Ich lasse Sie nicht allein gehen, Professor.«
»Ich habe genug damit zu tun, auf mich selbst aufzupassen. Ich kann nicht auch noch auf Sie achtgeben.«
»Niemand verlangt das, Professor.«
»Das nicht. Aber ich wäre moralisch dazu verpflichtet.«
»Es hat keinen Sinn, Zamorra. Entweder Sie nehmen mich mit, oder ich laufe hinter Ihnen her. Das können Sie nicht verhindern. Vergessen Sie meine Gewissensbisse nicht. Ich habe Nicole Duval hierhergeschickt. Ich wollte ein gutes Werk an meiner Jugendfreundin tun. Es ist danebengegangen. Ich habe sie in Gefahr gebracht. Denken Sie, ich kann hier einfach sitzen und zusehen, wie Sie für mich die Arbeit tun? Außerdem hätte ich viel zuviel Angst, die Nacht allein in diesem unheimlichen Haus zu verbringen. Nein, nein, Zamorra. Sagen Sie, was Sie wollen. Ich komme auf jeden Fall mit Ihnen.«
Seufzend gab der Professor auf.
Zehn Minuten später verließen sie das Haus.
Sie strebten dem Tropenwald zu und stolperten dem gespenstischen Trommeln entgegen.
***
Sie krochen mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven auf einen klobigen Felsen zu.
Lauter, immer lauter wurde das Hämmern der Voodootrommeln.
Ein zuckendes Feuer leuchtete zwischen den Ästen.
Zamorra erreichte den Felsen zuerst. Behutsam richtete er sich auf.
Rovel schleppte sich schweißüberströmt heran. Es war die Angst, die ihm den kalten Schweiß aus sämtlichen Poren trieb.
»Was kann man sehen?« fragte der Franzose. Er hatte nicht den Mut, den Kopf zu heben.
»Ein Mädchen«, flüsterte Zamorra leise. »Sie ist splitternackt. Eine Thai…«
Sina war das Mädchen.
Das Opium hatte ihren jungen, straffen Körper noch nicht verwüstet.
Sie wand sich in ekstatischen Krämpfen. Es war ein schaurig-schön anzusehender Tanz, den das Mädchen vollführte.
Ihre Züge waren wie aus Stein gemeißelt.
Der gleich einer Rose halb offenstehende Mund stieß seltsame Laute aus.
Über den geschlossenen Augen wölbten sich dichte Brauen.
Das Mädchen wiegte ihren nackten Schoß mit einer lasziven Herausforderung. Den Kopf hatte sie hochmütig zurückgeworfen.
Sie war hypnotisiert.
Sina lief mit kleinen Schritten zwischen den vier hochlodernden Scheiterhaufen hin und her. Sie konnte sich für keine bestimmte Richtung entscheiden.
Sie strauchelte und fiel. Sofort begann sie sich im Staub zu wälzen.
Schauderhaft lallend, keuchend, ächzend.
Die häßlich geschminkten Musikanten schlugen besessen auf ihre Trommeln ein.
Rovel leckte sich zitternd über die Lippen. Er stieß Zamorra leicht an.
»Wenn die uns hier entdecken, sind wir verloren, was?«
»Anzunehmen«, gab der Professor zurück.
Unwillkürlich griff sich Jean-Paul Rovel an den von der Angst zugeschnürten Hals.
Er wußte nicht zu sagen, was jetzt besser gewesen wäre, nach Hause – in das Haus von Nicole Duval – zurückzukehren, oder hierzubleiben.
Sina sprang auf und stampfte den Boden mit den nackten Füßen.
Und dann begann sie sich zu kratzen. Sie fetzte mit ihren Fingernägeln überall ihre ebenholzfarbene Haut auf.
Sie fletschte dabei die Zähne, ihre Nasenflügel blähten sich, als würde sie den Schmerz genießen.
Dunkles Blut quoll aus den tiefen Wunden.
Der Anführer der Musikanten trat auf die Tanzende zu und machte mit ihrem Blut seltsame Zeichen auf ihren Körper.
Er hob die Arme.
Die Trommeln verstummten.
»Was kommt jetzt?« fragte Rovel erschrocken. Er wagte immer noch nicht den Kopf zu heben.
Zamorra gab ihm keine Antwort.
Statt dessen hörte Rovel die donnernde Stimme des Mannes jenseits des Felsens: »Tochter der Sünde! Ich komme, um dich mit dem Blut der Vergebung zu bemalen! Mach dich nun bereit! Bete! Bete zu Asmodis! Bitte um deinen Tod!«
Als Jean-Paul Rovel das hörte, entrang sich seiner Kehle ein entsetztes Krächzen.
Gerade in diesem Augenblick war es totenstill gewesen.
Die Voodootänzer, die Voodootrommler, alle hatten das Krächzen
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