0032 - Der Schädeljäger
Kinnlade.
Der Junge stieß einen langgezogenen Seufzer aus und kippte wie ein gefällter Baum nach hinten.
Er blieb mehrere Minuten auf dem Boden liegen.
Zamorra kniete neben ihm nieder.
Er schlug ihn mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht.
Der Junge kam zu sich.
Erschrocken riß er die Arme hoch.
»Keine Angst, ich tu’ dir nichts mehr, wenn du dich ruhig verhältst!«
»Sie sprechen unsere Sprache?« fragte der Junge erstaunt.
»Wie heißt du?«
»Pridhi Tharamat.«
»Warum hast du dich an mich herangeschlichen?« fragte Zamorra scharf. »Du wolltest mich überfallen, stimmt’s?«
»Nein! Nein, das wollte ich nicht.«
»Wer saubere Gedanken hat, der schleicht sich nicht an einen Fremden heran!«
»Ich wollte Ihnen nichts tun. Wirklich nicht.«
»Was suchst du hier, Pridhi?«
Der Junge wies mit einer weinerlichen Miene zu dem Gebüsch, hinter dem das nackte Mädchen lag.
»Sie war mein Mädchen.«
»Wie hieß sie?«
»Sina. Sina Songgrams. Die Voodooleute haben sie Rajadhon geopfert.«
»War sie freiwillig hier?«
»Nein. Sie wurde hypnotisiert.«
»Erzähl mir von Sina«, verlangte Zamorra. Und so erfuhr er von der Opiumsucht des Mädchens und von dem Gespräch, das Pridhi Tharamat vor dem Opiumhaus mit ihr geführt hatte.
»Und wie kamst du hierher?« fragte Zamorra den Jungen weiter.
»Ich sah sie mit Sarit Pibul, dem Voodoopriester, aus ihrem Haus kommen. Das machte mir Angst. Ich wollte wissen, wohin der Priester sie bringt und schlich hinter den beiden her. Er brachte sie in eine Hütte. Ich wollte Sina von dort herausholen, aber da waren viele Männer. Sie hätten mich überwältigt. Damit hätte ich Sina nicht geholfen. Deshalb wartete ich ab. Als es Nacht geworden war, schafften sie Sina hierher. Oh, was bin ich für ein elender Feigling. Ich hörte die Trommeln. Ich sah Sina tanzen. Aber ich hatte nicht den Mut, sie zu retten. Ich erlebte aus der Ferne mit, wie Sie und Ihr Begleiter von den Voodoomännern überfallen wurden…«
»Was ist aus meinem Begleiter geworden?« fragte Zamorra schnell dazwischen.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Pridhi Tharamat. »Mich übermannte die Angst, als ich diese schreckliche Meute losstürzen sah. Ich zog mich tiefer in den Wald zurück. Ich verkroch mich im Unterholz und kehrte erst hierher zurück, als niemand mehr da war. Ich sah Sie dort hinter dem Felsen liegen und dachte, Sie wären tot.«
»Das dachten die Voodookerle vermutlich auch«, knirschte Zamorra.
»Dann… dann fand ich Sina. Ich verlor vor Schmerz fast den Verstand. Warum haben mir diese Bestien das angetan? Warum mußte Sina sterben?«
»Hat Sina manchmal über Voodoo gesprochen?« erkundigte sich Zamorra.
Pridhi schüttelte den Kopf.
»Niemals.«
»Dieser Sarit Pibul! Wo finde ich den?« wollte der Professor wissen.
Tharamat zuckte die Achseln.
»Das weiß ich nicht. Er wohnt in vielen Hütten. Doch niemand weiß genau, wo. Fast niemand. Nur seine engsten Voodoovertrauten.«
»Kennst du welche?«
»Nein.«
»Hör zu, Pridhi. Willst du, daß dieser mörderische Spuk ein Ende nimmt?«
»Ja, Herr. Ja. Natürlich. Jeder in Bangkok will das!«
»Bist du bereit, mir zu helfen, Pridhi?«
»Wie kann ich das, Herr?«
»Ich bin Professor Zamorra.«
»Wie kann ich Ihnen helfen, Professor?«
»Mach einen von diesen Voodoomusikanten ausfindig. Wenn du mir einen von diesen Teufeln zeigen kannst, ist das Spiel schon gewonnen. Er wird für uns das Ende eines roten Fadens sein, Pridhi. Wir brauchen den Faden dann nur noch aufzurollen und gelangen genau dahin, wohin wir wollen: erst mal zu Sarit Pibul, dem Voodoopriester, und in der weiteren Reihenfolge zu Rajadhon, dem Dä- mon.«
Pridhi Tharamat nickte eifrig.
»Ich habe nichts mehr zu verlieren, Professor Zamorra. Sina habe ich schon verloren. Sonst besitze ich nichts Kostbares mehr.«
»Dein Leben sollte dir die größte Kostbarkeit sein.«
»Es ist nichts mehr wert, seit Sina tot ist. Ich war zu feige, ihr zu helfen. Aber ich will versuchen, mit Ihrer Hilfe ihren schrecklichen Tod zu rächen, Professor.«
Zamorra half dem Jungen auf die Beine.
»Vielleicht weiß der Rüsi Rat«, meinte Pridhi Tharamat.
»Der Rüsi?« fragte Zamorra verwirrt. Tharamat nickte schnell.
»Der Eremit.«
»Gut«, sagte daraufhin Professor Zamorra. »Bring mich zu ihm.«
***
Die frühen Morgenstunden von Bangkok sind voller Wunder.
Pridhi Tharamat und Zamorra hatten ein Boot gemietet. Einen uralten Kahn, doch Pridhi konnte gut
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