0032 - Der Turm der 1000 Schrecken
sie ihn.
Er trug ein bodenlanges wallendes Gewand. Eine Art Kutte. Die Kapuze war hochgeschlagen und aus ihrem dunklen Oval schimmerte ein bleicher Totenschädel.
Das war zuviel für Carla. Sie riß den Mund auf und schrie ohne Unterlaß. Bis ihr die Stimme versagte…
***
Die beiden Sarkophage lösten sich in nichts auf. Ebenso das angekettete Skelett. Auch die Erscheinung in der Kutte zerfaserte. Übrig blieben die Ketten, an denen Carla Berg hing, und ein glühendes Augenpaar sowie die schattenhaften Umrisse des Unheimlichen, der nun langsam näherkam.
Carlas Herz raste.
Sie war einer Ohnmacht nahe. Der Spuk blieb dicht vor ihr stehen. Sie fühlte die entsetzliche Kälte, die er verströmte. »Du bist meine Gefangene, Carla Berg«, sagte die Erscheinung.
»Warum?« schluchzte das Mädchen. »Ich habe doch nichts getan!«
»Ich lebe seit Jahrhunderten auf dieser Burg, und es hat eine Zeit gegeben, da war ich mächtiger, als du es dir vorstellen kannst. Damals war ich im Besitz einer gläsernen Zauberkugel, die meine Kräfte vervielfachte. Leider kam mir die Kugel abhanden, und meine Fähigkeiten schrumpften auf einen Bruchteil von einst zusammen.«
»Bitte«, bettelte Carla. »Bitte gib mir meine Freiheit wieder.«
»Daran ist vorläufig nicht zu denken«, gab der Unheimliche schroff zurück.
»Ich bin doch wertlos für dich.«
»Irrtum«, lachte der Spuk. »Seit langem habe ich darauf gewartet, daß mir ein Mädchen wie du in die Falle geht.«
»Wozu brauchst du mich?«
»Du wirst mir helfen.«
»Das kann ich nicht.«
»Doch, das kannst du.«
»Ich will es nicht«, keuchte Carla.
»Ich brauche deine Hilfe, und ich werde sie bekommen«, sagte die Erscheinung hart. »Ich hab’s satt, meine Zeit hier auf Erden zu verbringen. Ich will in meine Heimat zurückkehren. Ich möchte wieder in das Schattenreich eintauchen, doch das schaffe ich nur mit Hilfe jener Zauberkugel, die mir ein reines Mädchen wie du bringen muß. Du wirst es für mich tun. Du hast keine andere Wahl!«
Mit einem schaurigen Gelächter verschwand der Spuk.
Carla war dem Unheimlichen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dennoch wollte sie nicht zu seiner Komplizin werden, indem sie ihm jene Zauberkugel wiederbeschaffte, die seine unseligen Kräfte vervielfachte.
Er konnte diese Kräfte gegen die Menschheit einsetzen, und Carla hätte ihm dazu verholfen.
Lieber wollte sie sterben, als so große Schuld auf sich zu laden.
***
Nachdem wir die Opfer des magischen Schattens noch einmal abgeklappert hatten, konnten wir sicher sein, daß wir nichts übersehen hatten. Ich hielt mich an das Versprechen, das ich Inspektor Grey gegeben hatte: ich wollte ihn auf dem laufenden halten.
Aus diesem Grund suchte ich ihn einen Tag nach Sukos Kurzaufenthalt im Krankenhaus in seinem Büro auf, um ihm davon zu berichten.
Der hagere Mann seufzte geplagt. »Ich danke Ihnen, daß Sie zu mir gekommen sind, Oberinspektor«, sagte er. »Damit haben Sie mir einen Weg erspart, denn ich hatte die Absicht, Sie heute in Ihrem Hotel aufzusuchen.«
»Neuigkeiten?« fragte ich den Inspektor. Sein Büro war ein schlauchartiger Raum mit einem kleinen Fenster, durch das nur wenig Licht kam. Deshalb brannten den ganzen Tag die Leuchtstoffröhren.
»Ich habe einen neuen Fall übernehmen müssen«, erzählte Thomas Grey.
»Man hat Sie von den mysteriösen Vorfällen abgezogen?«
»Zunächst schien es so«, sagte Grey ernst. »Doch nun bin ich davon überzeugt, daß zwischen diesem und ihrem Fall eine Verbindung besteht.«
»Interessant«, sagte ich und wartete aufmerksam auf die Fortsetzung der Geschichte.
»Zwanzig Autominuten von Gloucester entfernt gibt es eine alte Burg«, erzählte mir der Inspektor. »Ein hier ansässiger Kegelklub machte eine Besichtigungsfahrt dorthin. Fünf Mädchen. Fünf junge Männer. Zehn Leute also. Zurück kamen aber nur neun. Ein Mädchen namens Carla Berg – sie verbringt ihren Urlaub bei ihrer Freundin Odetta Harrison – verschwand in dieser unheimlichen Burg spurlos. Ihre Freundin hat sie der Polizei als vermißt gemeldet.«
Ich nickte.
»Sie wissen davon?« fragte Thomas Grey.
»Ich habe das Fahndungsfoto im Fernsehen und in der Zeitung gesehen«, antwortete ich. Mir waren die Namen sämtlicher Klubmitglieder bekannt. Sie waren in der Zeitung abgedruckt worden.
Ich war neugierig, zu erfahren, wieso Grey das Verschwinden des deutschen Mädchens mit diesen mysteriösen Vorfällen, für die der magische Schatten
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