0033 - Der Pfähler
Halbglatze, wartete hinter seinem Schreibtisch. Er grinste und wedelte mit dem Telegramm.
»Aus England«, erklärte er.
»Kannst du das denn lesen?«
»Es ist in unserer Sprache.« Der Bürgermeister übergab Marek die Nachricht.
Der Schmied begann zu lesen, und dabei weiteten sich seine Augen. »Das ist eine Sache«, flüsterte er.
»Was, daß du Besuch bekommst?«
»Ja, ich kenne den Mann gar nicht.«
»Und du kannst dir auch nicht denken, was er in unserem Dorf will?«
»Nein.« Marek schüttelte den Kopf.
»Na, da bin ich mal gespannt.« Der Bürgermeister lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du wirst mir hoffentlich alles erzählen, mein Bester.«
»Kann sein.« Gedankenverloren steckte Marek das Telegramm ein und verließ den Raum.
Auf dem Weg zu seinem Haus beschäftigten sich seine Gedanken nur mit diesem Telegramm. Ein gewisser John Sinclair hatte es aufgegeben. John Sinclair aus London.
Marek hatte den Namen noch nie gehört, er wußte damit überhaupt nichts anzufangen. Was hatte ein Engländer davon, ihn zu besuchen? In einem gottverlassenen Ort in den Karpaten? Oder ob das am Ende mit der Vampirgefahr zusammenhing. Nur – wie sollte dieser Sinclair davon Kenntnis bekommen haben?
Er sprach mit Marie darüber. Auch sie wußte keinen Rat, schlug aber wieder vor, den Pfarrer einzuweihen.
»Unsinn!« Marek winkte ab.
Marie verließ beleidigt den Raum.
Marek trat ans Fenster und schaute nach draußen. Nichts hatte sich verändert, das Leben lief normal weiter, und doch spürte er die Bedrohung, die unsichtbar über dem Ort lag. Kalurac brauchte Helfer. Ohne die war er machtlos. Stellte sich die Frage, woher er die bekommen sollte?
Frantisek Marek wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als Corucz, sein Gehilfe, ins Zimmer stürzte. Der Mann war fix und fertig, er brach fast zusammen und mußte sich an der Türfüllung festhalten.
»Was ist los?« fragte Marek.
Corucz keuchte. Er war kaum fähig, eine klare Antwort zu geben. Dann aber haspelte er: »Auf Varescus Hof… sie sind… tot… alle tot…«
***
»Wer ist tot?« Mehr fiel Marek im Moment nicht dazu ein.
»Alle. Die Menschen, meine ich. Ich…« Corucz wankte zu einem Stuhl und ließ sich darauf nieder. »Ich… ich bin zufällig dort vorbeigekommen, und da hörte ich sie schreien.«
»Ich dachte, sie wären tot.«
»Nicht die Menschen.« Der Schmiedegehilfe wischte sich über die Stirn.
»Setz dich erst einmal«, sagte der Pfähler und drückte Corucz einen Stuhl in die Kniekehlen. Schwer fiel der Mann darauf nieder. Er bekam ein halbes Wasserglas von Selbstgebranntem Schnaps, schüttete das Zeug herunter und begann zu reden.
»Ich kam am Hof vorbei, und da hörte ich das Schreien des Viehs. Die Kühe blökten. Aber nicht nur die Kühe lärmten, auch die Schweine waren in heller Aufregung. Sie grunzten und quiekten. Die Hühner flatterten herum. Alle Tiere mußten eine schreckliche Angst haben.« Er hielt das Glas hin, und Marek schenkte noch einmal nach.
»Ja«, erzählte Corucz, »dann bin ich in das Haus gegangen. Erst habe ich gerufen. Als ich keine Antwort bekam, schlich ich in den Flur. Unten war niemand. Ich ging dann die Treppe hoch, traute mich sogar in den Schlafraum hinein, und dort sah ich sie dann liegen. Der Vater, die Mutter und die Söhne – alle tot!«
»Weißt du das genau?«
»Sie… sie atmeten nicht.«
Der Schmied drehte sich um und rammte seine Hände in die Hosentaschen. Daß sie nicht atmeten, brauchte noch lange nicht zu heißen, daß sie tot waren. Sie konnten auch Kaluracs erste Opfer sein. Denn dieser Vampir war in der Nacht sicherlich nicht untätig gewesen.
»Hast du noch mit jemand anderem darüber gesprochen?« fragte der Pfähler.
»Nein!« Corucz schüttelte den Kopf. »Nur mit Ihnen.«
»Das ist gut, sogar sehr gut. Ich werde hingehen und mir die Toten ansehen, während du im Haus bleibst.«
Corucz rieb sich über das Gesicht. Es war schweißnaß. Eine glänzende Schicht blieb auf seinem Handrücken zurück. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick vom Stuhl fallen. Leichenblaß war sein Gesicht. Wie bei einem Vampir…
»Du kannst in die Schmiede gehen«, sagte Marek.
Corucz nickte und stand ächzend auf. Wenig später war er verschwunden. Marek aber lief hoch in das Schlafzimmer, öffnete eine Schublade und holte seinen Eichenpfahl hervor. Den wollte er für alle Fälle bei sich haben.
Seine Frau erwischte ihn, als Marek gerade das Haus verlassen wollte. »Du willst weg?«
Weitere Kostenlose Bücher