0033 - Der Pfähler
fragte sie.
»Ja.«
»Und deine Arbeit?«
»Macht Corucz weiter.«
»Ist er denn da?«
Der Pfähler gab keine Antwort und verschwand.
Es hatte einen Wetterumschwung gegeben. Der Ort lag ungefähr achthundert Meter hoch, und etwa in dieser Höhe ballten sich Wolken zusammen. Dicke, graue Knäuel zogen durch die Straßen und Gassen, die Berge verschwammen in den Nebelfeldern. Es war typisches Novemberwetter. Weiter oben am Berg schneite es jetzt.
Marek hatte sich seine Lammfelljacke übergezogen. Sie tat ihm schon einige Jahre gute Dienste und hielt die Kälte ab. Der Atem stand als Wolke vor seinem Mund und vermischte sich mit dem grauweißen Nebel.
Es war dunkler geworden. Die schweren Wolken verschluckten die Sonnenstrahlen. Wer nicht genau wußte, daß Mittag war, der nahm an, die Dämmerung wäre hereingebrochen.
Marek verließ das Dorf. Die Menschen, die ihm begegneten, schauten ihn verwundert an da er grußlos an ihnen vorbeieilte. Wie ein Dieb, der nicht gesehen werden wollte.
Und so kam sich Marek bald vor.
Er glaubte nicht daran, daß die vier Menschen tot waren. Die Familie Varescu war sicherlich von Kalurac im Schlaf überrascht worden. Etwas Besseres hätte dem Vampir gar nicht passieren können. Zudem lag der Hof der Varescus ziemlich einsam. Das Haus und die Scheune schmiegten sich an eine Hügelflanke. Die Rückseite des Hauses lief mit dem Hügel in fast gleicher Höhe.
Marek war schon oft bei ihnen gewesen. Er kannte die Varescus gut. Die Familie war verschlossen, besonders die beiden Söhne. Sie waren Zwillinge und jetzt knapp zwanzig Jahre alt. Kräftige Burschen, die zupacken konnten.
Ein schmaler Weg schlängelte sich den Hügel hoch, um an der anderen Seite in einem dichten Mischwald zu verschwinden.
Etwa fünfzehn Minuten Fußweg waren es vom Ort aus bis zu dem Gehöft der Varescus.
Marek schaffte die Strecke in zehn Minuten. Dann schälten sich die Umrisse der Hausfront aus dem Nebel.
Das Gehöft lag von drei Seiten frei, so daß der Wind um das Holzhaus pfeifen konnte. Die alte Scheune stand etwas schräg versetzt. Sie war kaum auszumachen.
Die Eingangstür stand offen. Hin und her bewegte sie der leichte Wind, der auch den Nebel zu spiralförmigen Gebilden drehte.
»Varescu!« rief Marek und blieb stehen. »Hörst du mich?«
Seine Stimme klang seltsam dumpf, aber Marek bekam keine Antwort.
Etwas zögernd schritt er auf das Haus zu. Seine rechte Hand hielt er unter der Jacke verborgen. Die Finger umklammerten den Eichenpfahl so fest, daß Mareks Knöchel weit hervortraten.
Mit dem Fuß stieß er die Tür auf. Sie schwang bis zur Wand, wurde aber nicht zurückgedrückt.
Der Pfähler hatte hinten leider keine Augen, deshalb sah er auch nicht die Gestalt, die als Schemen durch den Nebel huschte und in der alten Scheune verschwand.
Marek betrat das Haus.
Corucz hatte erzählt, daß die »Leichen« im Schlafzimmer lagen. Aber Marek traute dem Braten nicht. Er wollte erst einmal die unteren Räume durchsuchen.
Das Vieh blökte und schrie nicht mehr. Marek wußte, daß der Stall in der rückseitigen Hälfte des Hauses untergebracht war. Die Familie lebte noch wie ihre Vorfahren. Sie hatten auch kein fließendes Wasser, sondern betrieben einen Brunnen, der sich vor der Scheune befand. Und von elektrischem Licht hatten sie höchstens etwas gehört.
Marek betrat eine große Diele. Er schritt über den kalten gefließten Steinboden auf die wuchtige Holztreppe zu, die bis unter das Dach des Hauses führte. Im ersten Stock lagen die Schlafzimmer.
Und dort hatte Corucz die »Leichen« gesehen. Ein unangenehmes Gefühl beschlich Marek, als er sich der Schlafzimmertür näherte. Unter ihm knarrte das Holz.
Überall knackte und klapperte es. Der Wind sang um das Haus, rüttelte an Schindeln oder ließ Fensterläden schwingen. Im Hintergrund blökte eine Kuh.
Ein lächerliches Geräusch in dieser Situation, aber Marek war wirklich nicht nach Lachen zumute.
Er blieb vor der offenstehenden Schlafzimmertür stehen. Atmete noch einmal tief durch und betrat das Zimmer.
Es war – leer!
Der Pfähler schloß sekundenlang die Augen, öffnete sie wieder, doch das Bild blieb. Die Leichen waren verschwunden. Die zerwühlten Stellen auf dem Bett zeigten noch an, wo sie gelegen hatten.
Marek ging auch ins Nebenzimmer. Dort schliefen die beiden Söhne. Auch hier war alles leer.
Die Vampir-Familie Varescu war ausgeflogen!
Marek ließ den Eichenpfahl los und nahm die Hand wieder unter der
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