0033 - Der Pfähler
Anzumerken war ihm nichts.
»Engländer können wohl nicht viel vertragen«, meinte die Frau und wollte noch einmal nachschenken, doch ich legte rasch meine flache Hand auf das Glas.
Ein Schluck hatte gereicht.
Marie Marek setzte sich zu uns an den Tisch. Jetzt sah ich auch die Sorgenfalten in ihrem Gesicht.
»Haben Sie irgend etwas, Frau Marek?« fragte ich.
»Ja, ich mache mir Sorgen um meinen Mann. Ich weiß nicht wohin er gegangen ist. Kurz nach ihm ist auch unser Gehilfe verschwunden. Er war so komisch, hat nur wissend gegrinst und ist gegangen.«
»Können Sie sich nicht denken, welches Ziel ihr Mann hatte?«
Sie hob die Schultern und schaute aus dem Fenster. Draußen nieselte feiner Regen gegen die Scheibe. »Vielleicht auf Vampirjagd. Er glaubt ja daran.«
»Und Sie?« fragte ich.
»Gesehen habe ich noch keine.«
»Aber Sie glauben daran.«
Die Frau wich meinem Blick aus, als sie antwortete. »Und wenn Sie mich Auslachen, mein Herr, aber jeder in dieser Gegend glaubt an Vampire. Daran hat sich seit Vlad Dracula nichts geändert.« Sie hob den Blick. »Jetzt werden Sie sicherlich über mich lachen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Ich lache nicht. Vampire sind harte Gegner, und ich habe nicht erst einmal gegen sie gekämpft.«
»Stimmt… das?«
Ich erklärte der Frau, zu der ich Vertrauen gefaßt hatte, welche Funktion ich ausübte. Wie ich dazu gekommen war, in diesen Ort zu fahren.
Ihre Augen wurden groß, und ihr Gesicht nahm einen staunenden Ausdruck an. Dann flüsterte sie: »Lieber Himmel, dann haben Sie das Kreuz!«
»Ich trage es immer bei mir.« Zur Demonstration knöpfte ich mein Hemd auf und zeigte ihr das wertvolle Kleinod.
Marie Marek beugte sich über den Tisch. Ihre Stimme zitterte vor Ehrfurcht, als sie sagte: »Das ist es, mein Gott im Himmel, das ist es tatsächlich. Und ich habe ihm nie glauben wollen.«
»Wem?«
»Meinem Mann. Als er von dem Erbe sprach. Ich habe ihn immer für einen Spinner gehalten, aber jetzt…«
Als wäre die Nennung des Namens ein Stichwort gewesen, da öffnete sich die Tür. Marek betrat die Küche, er war in Nebel gehüllt.
»Endlich!« rief seine Frau, »endlich bist du da!«
Marek blieb inmitten der Küche stehen. Ich erhob mich, und wir sahen uns an.
Dieser Mann mit dem weißen Haar, dem wettergegerbten Gesicht und den hellblauen Augen, war mir von Beginn an sympathisch. Ihm erging es wohl ebenso, denn wie abgesprochen begannen wir beide zu lächeln. Auf seiner Kleidung glänzte die Feuchtigkeit. Sie hatte sich auch in seinem Haar festgesetzt. Den Reißverschluß der Lammfelljacke hatte er geöffnet. An seiner linken Hüfte sah ich einen Holzpfahl aus dem Gürtel ragen.
»Sie sind John Sinclair«, sagte Marek. »Sie müssen es sein!«
»Ja.« Wir gingen aufeinander zu und reichten uns die Hände. Obwohl uns altersmäßig eine Generation trennte, war unser Händedruck wie ein Schwur.
Es gibt Begegnungen im Leben, da verstehen sich wildfremde Menschen ohne Worte. Mir war es damals so mit Bill Conolly gegangen und auch mit Suko.
Heute erlebte ich es wieder.
»Willkommen bei uns in Petrila«, sagte Marek.
Ich stellte Suko vor, und dann war die Reihe an mir, noch einmal zu berichten. Diesmal ging ich auf Details ein, während Marek zuhörte und sich hin und wieder ein kleines Gläschen einschenkte.
Seine Frau saß daneben und schüttelte den Kopf. Als ich auf die Begegnung mit dem Vampir zu sprechen kam, faltete sie die Hände und murmelte ein Gebet.
»Das war jemand aus der Varescu-Sippe«, sagte Marek. Er berichtete, was er erlebt hatte.
Dann kamen wir auf das Kreuz zu sprechen. Als ich es zeigte, wurden die Augen des Alten feucht. Mit zitternden Fingern griff er danach und berührte es mit seinen Lippen.
»Ja, es ist das richtige Kreuz. Es stammt aus unserer Gegend. Ich erkenne es an den uralten Zeichen.«
Ich war wie elektrisiert. »Dann wissen Sie um die Bedeutung dieser Zeichen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht genau, ich müßte in einem alten Buch nachschlagen.«
»Haben Sie es zur Hand?«
»Leider nicht. Es liegt oben unter dem Dach. Irgendwo…« Er hob die Schultern. »Wenn wir Zeit hätten, dann…«
»Nein, nein, die haben wir nicht.«
Marek trank sein Glas leer. »Ich freue mich, daß dieses geheimnisvolle Kreuz, das schon dazu beigetragen hat, den Grafen Dracula zu vernichten, in würdige Hände gelangt ist.« Dann zog er den Eichenpfahl aus dem Gürtel. »Auch dieser Pfahl hat dafür gesorgt, daß
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