0035 - Draculas Erbe
geistesabwesend. Der Schock über den Tod ihrer Eltern und Geschwister machte sie völlig teilnahmslos.
Der Weinbauer ging zu dem großen Brett. Da sah er, dass es einmal die Haustür gewesen war. Das Wasser hatte einige Holzsplitter herausgespült und die Tür fast unkenntlich gemacht.
Aber den Bauern interessierten nur die beiden Buchstaben.
Als er dicht genug vor der ehemaligen Haustür stand, konnte er sie endlich entziffern.
Es waren zwei Großbuchstaben. Ein P und ein D.
Der Bauer kannte keinen Menschen, auf den diese Buchstaben zutreffen würden. Aber da war noch etwas anderes.
Die Buchstaben schienen noch ganz frisch zu sein.
Der Bauer watete durch ein paar Pfützen. Dann stand er vor der Tür. Er fuhr mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über die Buchstaben. Zog die Hand zurück, schnupperte an der Flüssigkeit.
Sie roch stark süßlich.
Blut! , dachte der Bauer.
Dann sah er hinüber zu Jaras Mutter. Er sah die Wunde an ihrem Kopf. Die Wucht des Wassers musste sie gegen die Mauer gepresst haben. Dabei war eine klaffende Wunde am Kopf entstanden.
Die Buchstaben auf der Haustür aber waren von dem gleichen Rot wie die Blutkruste am Kopf der Frau! Schlagartig überkam den Bauer das Grauen. Und plötzlich glaubte er an die Geschichte des Mädchens Jara.
Die Furcht verlieh ihm die größte Geschwindigkeit. Er lief zurück zu seinem Weinkarren, sprang auf den Bock und trieb sein Pferd zur Eile.
Den Wein und den Markttag von morgen hatte er vollkommen vergessen.
Jara schlief neben ihm. Sie hatte von alledem nichts gemerkt.
Der Schock und die Strapazen hatten ihr eine tiefe Ohnmacht beschert.
***
Professor Zamorra, Nicole Duval und die Bukarester Beamten waren inzwischen von Kommissar Mihail Petescu empfangen worden.
Sehr dankbar und sehr liebenswürdig.
Zu dem Fall selbst war nichts mehr zu berichten. Zamorra hatte während der Fahrt vom Bukarester Flughafen nach Bistritz alles Nötige erfahren.
»Ich schlage vor, dass wir uns einem ausgiebigen Abendessen widmen«, schlug Petescu deshalb vor. »Meine Frau ist unterrichtet, und wir freuen uns, Sie als Gäste bei uns zu haben.«
Niemand hatte etwas dagegen. Die Beamten waren hungrig geworden, und Zamorra konnte, ebenso wie Nicole, ein kräftiges Essen und einen guten Schluck vertragen.
Dennoch waren sie während der Mahlzeit noch zu stark mit den Vorfällen an der Druga beschäftigt.
Petescus Frau, eine pausbäckige, gutmütige Person von mittlerer Größe, beteiligte sich nicht am Gespräch. Sie lief nur immer von der Küche ins Wohnzimmer und beeilte sich, vom Besten aufzutragen, was das bescheidene Haus, wie es hieß, zu bieten hatte.
Haus und Küche der Petescus aber waren alles andere als bescheiden. Und ihre Gastfreundschaft stand dem in nichts nach.
Es gab einen Hirtenspieß mit geröstetem Hammelfleisch, Zwiebeln, Tomaten, Rinderfilet und Paprikabeilagen. Dazu trank man einen kräftigen roten Wein.
Als die Hausfrau den Nachtisch servierte, war die Stimmung schon wesentlich gelöster. Der Nachtisch war reichhaltiger als der Hauptgang.
Es gab selbst gemachten Ziegenkäse, dann eine Art Handkäse, mit Zwiebeln, Knoblauch und Speck. Eine schmackhafte Spezialität.
Dazu wurde reichlich Obst serviert.
Und zum Kaffee, der einem türkischen Mokka gleichkam, gab es einen würzigen Schnaps, der süß war wie Likör, aber in der Wirkung scharf wie ein vielprozentiger Rachenputz.
Zamorra wollte nach dem Namen dieses köstlichen Getränks fragen, kam aber nicht mehr dazu.
Nicole Duval, die sich reichlich müde fühlte, machte soeben den Vorschlag, sich zurückzuziehen.
»Sie sind gern noch länger meine Gäste«, sagte Mihail Petescu bedauernd. »Aber ich sehe ein, dass das Fräulein sich zur Ruhe begeben möchte. Ich würde nicht wagen, Sie in meiner bescheidenen Wohnung unterbringen zu wollen. Deshalb habe ich mir erlaubt, zwei Zimmer für Sie zu bestellen. Im ›Hotel Karpaten‹. Es ist gut, und es ist nur zehn Schritte von meiner Wohnung.«
Petescu hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als von der Straße her sein Name gerufen wurde.
Es waren die Stimmen eines Mannes und einer Frau.
Auch starkes Rütteln an einer Tür wurde hörbar.
»Wer mag das sein?«, fragte der Kommissar. »Man weiß doch, dass ich um diese Zeit keinen Dienst mehr tue.«
»Kommissar!«, schrie die schrille Stimme eines Mädchens. »Bitte schnell, Kommissar!«
»He, Mihail, komm raus!«, rief die Stimme des Mannes.
Petescu lief zum Fenster und
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