0035 - Draculas Erbe
Blut fast zum Stocken kommen.
»Jara Yäntak!«, hörte das Mädchen die lang gezogenen Töne aus Geistermund.
Sie stand starr.
Sie drehte sich langsam zur Seite, von wo die entsetzlichen Laute kamen. Da sah sie die Gestalt von vorhin wieder.
Die Gestalt, hoch aufgerichtet. Weiß wie Kreide. Mit den rot geränderten Augen, die jedem Menschen Todesfurcht einjagten.
Die großen Kälberzähne der Gestalt blitzten Jara an.
»Steh, wo du bist, Jara Yäntak!«, brüllte das Gespenst.
Und Jara stand wirklich still. Gelähmt vor Entsetzen und panischer Angst.
Dreißig Meter vor ihr stand die Furcht erregende Erscheinung. In einem Seitengang des Stollens. Drohend und bewegungslos. Wie ein Toter. Und doch auf grauenhafte Weise am Leben.
Und plötzlich zeigte sich, dass dieses grässliche Wesen kein Gespenst war. Kein Toter, der durch den unterirdischen Felsengang spukte.
Langsam setzte er sich in Bewegung, kam auf das Mädchen zu.
Jara Yäntak riss die Augen auf. Vor Staunen und Furcht zugleich.
Sie war sicher, dass der Unheimliche ihr Leben wollte.
Die nächsten Worte des Dämonen bestätigten diesen fürchterlichen Verdacht. »Wir haben dich also vergessen, Jara Yäntak!«, sagte der Unheimliche.
Und tat wieder einen Schritt nach vorn.
Und noch einen. Und einen dritten.
Was sollten die Worte des Dämonen bedeuten?
Was hatte er vergessen?
Jara ahnte die dumpfe, bittere Wahrheit noch nicht.
Als der Unheimliche aber einen weiteren Schritt auf sie zu machte, begann sie zu laufen. Sie rannte um ihr Leben.
Obwohl der Teuflische hinter ihr war, sah sie noch immer sein kreidebleiches Gesicht. Ein Gesicht wie der Tod. Aber ein grauenvolles, lebendiges Bild, das im Augenblick hinter ihr her war.
Sie lief. Schneller, als es die Vorsicht gestattete.
Bald waren ihre Hände und Knie zerschunden.
Ständig rissen die zackigen Felssplitter an den Wänden des Schachtes ihre Haut auf. Die Fingernägel des Mädchens brachen ab.
Sie stürzte und schlug der Länge nach hin. Ihre Knie bluteten. Und sie spürte, wie der Herzschlag ihre Adern sprengen wollte.
Nur ihre Todesangst trieb sie weiter.
Hinter sich hörte sie das Fauchen des Unheimlichen. Der Dämon war ihr hart auf den Fersen. Manchmal glaubte sie, einen eiskalten Atem in ihrem Nacken zu spüren.
Nur weiter! , dachte sie. Immer weiter! Die Öffnung des Tunnels erreichen! Dann kann ich um Hilfe schreien! Vielleicht hört mich jemand!
Der Dämon schien ihre Gedanken zu erraten. »Niemand wird dir mehr helfen, Jara Yäntak!«, dröhnte seine Stimme hinter dem Mädchen her.
Und Jara lief um ihr Leben.
Allmählich wurde der schwache Lichtschein da vorn stärker.
Ich muss es schaffen! , dachte Jara.
Aber sie spürte, wie die Kräfte sie verließen. Ihr Atem ließ nach.
Die Luft in dem Schacht war zu dünn. Sie pumpte ihr die Lungen aus.
Die Anstrengung beim Laufen, die stoßhaften Atemzüge der Todesangst, das alles wirkte sich schwächend auf das Mädchen aus.
Und dann gähnte plötzlich der Abgrund vor Jara!
Mit Entsetzen sah sie, dass der leicht nach unten geneigte Tunnel auf einmal abbrach und in einer riesigen Grotte endete!
Zum ersten Mal wusste sie, was sie vorher erfahren wollte!
Der Dämon hatte diese Grotte benutzt, um die Wasser des Lassa-Sees hineinfließen zu lassen!
Dann brauchte er sein grauenvolles Werk nur zu vollenden. Er stieß die gegenüberliegende Wand des Felsens einfach durch. Da wäre das Grauen perfekt und vollendet. Wie ein Sturzbach aus hundert Wolkenbrüchen würde das Seewasser aus dem Felsen brechen und alles unter sich begraben.
Jara stand still. Sie musste diesen letzten, schrecklichen Gedanken noch einmal hersagen.
Alles unter sich begraben!
Der Schacht verlief in südlicher Richtung.
Ein wenig nach Westen, schätzte Jara.
Und am Südwesthang lagen die Felder ihres Vaters.
Und gleich hinter den Feldern, am Rande des kleinen Kiefernwaldes, stand die Hütte ihrer Eltern!
Als Jara dieses Entsetzliche denken musste, gab es für sie kein Halten mehr. Sie musste den Ausgang des Schachtes erreichen!
Sie musste ans Licht kommen! Sie musste sehen, was dort draußen geschehen war!
Als sie die Stimme des Dämons wieder hinter sich hörte, machte sie sich daran, in den Krater einzusteigen.
Aber die Stimme des Fremden in dem langen purpurnen Mantel dröhnte unaufhaltsam, unaufhörlich hinter ihr her. Sie brachte die Trommelfelle des Mädchens fast zum Platzen.
»Steh, Jara Yäntak!«, brüllte der Fremde.
Und Jara wagte das
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