0035 - Draculas Erbe
Äußerste. Sie stieg in die Grotte, die wie ein riesenhafter Krater eines Berges aussah.
Zentimeterweise kam sie nur voran.
Als sie einen Meter geschafft hatte, beugte sich die fürchterliche Gestalt über den Rand des Kraters.
***
Kalter, fauliger Atem stieß dem Mädchen ins Gesicht. Ein Atem wie aus einer Modergrube.
Jara schüttelte sich.
Ein Toter hatte sie angehaucht!
Ein Toter, der lebte!
Jara sprang.
Sie fiel fast zwei Meter tief. Dann spürte sie wieder Halt unter den Füßen. Zum Glück waren die Ränder des Kraters nicht allzu steil.
Man konnte hinunterklettern.
Aber Hände und Füße versagten dem Mädchen schon fast den Dienst. Der Lauf durch den Stollen hatte sie schon sehr mitgenommen.
Die Steine am Boden hatten mit scharfen Kanten ihr Schuhwerk zerfressen. Immer weiter bissen sich Steine und Geröllstücke durch das weiche Leder.
Schon schlappten die Sohlen lose an den Schuhen.
Jara achtete nicht darauf.
Sie stieg weiter nach unten, bis sie den Fuß des Kraters erreicht hatte.
Erst hier gönnte sie sich eine kurze Pause.
Ängstlich blickte sie sich um. Sah halb nach oben. Und musste etwas Merkwürdiges erleben.
Der Dämon war ihr bis auf halbe Höhe gefolgt.
Dort stand er jetzt und stieß die wüstesten Drohungen und Beschimpfungen aus. »Lauf nur weg, Jara Yäntak!«, brüllte er das Mädchen an. »Du entgehst uns nicht. Wir werden dir folgen wie die Geister der Hölle! Wir haben dich vergessen, Jara Yäntak! Aber wir holen dich!«
Ein gewaltiges, dröhnendes Lachen folgte diesen Worten.
Dann aber sah der Dämon von Jara weg.
Jara beobachtete seine Augen.
Der Blick des Unheimlichen ging nach oben. Immer weiter. Bis er auf den Stollen traf, der jenseits des Kraters weiterführte. Bis ins Freie.
Aus dem freien Land aber, weit von draußen her, drang jetzt ein hellerer Lichtschein herein.
Brüllend schlug der Dämon einen Arm mit dem wallenden Ärmel seines dunkelroten Mantels übers Gesicht. Der Dämon bedeckte seine Augen! Konnte er das Licht nicht ertragen?
Gebannt verfolgte Jara jede seiner Bewegungen.
Der Unheimliche drehte sich um und stieg den Rand des Kraters hinan.
Endlich konnte das Mädchen aufatmen. Der dämonische Fremde schien das Tageslicht nicht auszuhalten. Es blendete ihn.
Das war eine Hoffnung für Jara.
Wenn das Licht der Feind dieses grimmigen Wesens war, dann würde der Unhold ihr nicht mehr folgen können!
Hastig machte sich Jara an den Aufstieg aus dem Krater. Es war mühsam. Mühsamer als der Abstieg auf der anderen Seite.
Oft gaben die Steine und Felsbrocken nach, brachen aus der Halterung der Bergwand, stürzten in die Tiefe.
Nur langsam kam Jara voran. Dann endlich sah sie wieder das Licht, das in den Schacht fiel. Erschöpft ließ sie sich am Rand des Kraters auf den steinigen Boden fallen.
Die Anstrengungen, verbunden mit dem Schrecken und der Todesangst, waren zu stark gewesen für das Mädchen.
Jara rang nach Luft.
Erst eine Viertelstunde später erhob sie sich und ging auf den Ausgang zu.
***
Das Mädchen trat hinaus ins Tageslicht.
Dann kam ein Schrei aus ihrem Mund, der nicht mehr enden wollte, und doch schließlich in einem Gurgeln abbrach.
Mechanisch setzte Jara einen Fuß vor den anderen.
Ihre Augen konnten nicht begreifen, was sie sahen.
Der Berghang vor ihr war glatt rasiert. Wie die meilenweiten Felder und Gärten nach einem Hurrikan.
Hier hatte das Wasser gewütet, das der Dämon durch den Felsenschacht gelenkt hatte. Es musste hinausgebrochen sein, schlimmer als ganze Horden unerbittlicher Kriegsheere.
Von der Natur war nichts zu sehen. Büsche und Bäume, wie weggefegt. Weinberge und Wiesen mit Vieh, weggeblasen und ausgelöscht. Das Wasser hatte seine grausame Arbeit gründlich getan.
Kein Grashalm stand mehr aufrecht an den Hängen. Kein Weinstock war in der Erde geblieben.
Kahl und steinig lag eine wüste Landschaft vor Jara.
In einer Breite von mehr als hundert Metern zeichnete sich die Spur der Vernichtung vor Jaras Augen ab. Eine Spur, die immer breiter wurde, je mehr sie ins Tal führte.
Selbst der Waldrand war nicht mehr zu sehen. Hundert Meter ins Innere des Waldes hinein konnte man blicken.
Überall Leere, Vernichtung und Grauen.
Was aber das Herz des Mädchens fast zum Stillstand brachte, war der Anblick eines kleinen grauen Vierecks. Zwischen dem Hang und dem Wald.
Mechanisch machte sich Jara Yäntak an den Abstieg. Ihr Schrei war zu einem Wimmern geworden.
Sie wusste, auf was sie zuging. Sie
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