0035 - Draculas Erbe
gewesen wären.
Der Schreck, der die Frau durchfuhr, war fast so groß wie der, den Andor in diesen Sekunden verspürte.
Ganz unvermittelt spürte er den Druck der Hände über seinem Kopf. Dann wurde sein Gesicht immer tiefer ins Wasser gezogen.
Die Frau am Ufer schrie um Hilfe. Aber niemand außer ihr und dem schwimmenden Andor Belä war heute Morgen unterwegs.
Bleich vor Entsetzen sah die Bäuerin vom Ufer aus, wie Andor Belä immer tiefer ins Wasser gezogen und schließlich ertränkt wurde.
Andor selbst wehrte sich verzweifelt.
Aber die Geisterhände waren stärker als jedes noch so kräftige Aufbäumen des armen Mannes.
Schon berührten seine Lippen das Wasser, schon stieg es ihm bis zur Nase. Dann konnte er nicht mehr atmen.
Und der Druck der dämonischen Hände ließ nicht nach!
Immer tiefer wurde der Bauer gezerrt. Da verlor er das Bewusstsein und spürte nicht mehr, was der Unhold mit ihm machte.
Es war György Draccu, der Erste von Draculas Vätern.
Er zerrte den Leichnam des Mannes bis auf den Grund des Sees.
Dann hob er einen Stein vom Boden auf und schlug zu. Er traf den Kopf des Toten.
Anschließend griff er nach einem anderen Stein und ritzte dem Ertränkten sein teuflisches Zeichen auf die Stirn.
Blut trat in kleinen Rinnsalen aus der Stirn. Aber das Wasser wischte diese kleinen, dünnen Blutspuren sogleich wieder fort.
Nur die beiden Buchstaben waren auf der angeritzten Stirn zu erkennen. Ein ›P‹ und ein ›D‹.
Papesciu Draculi!
Das Höllenzeichen der Draculaväter!
Zwei Stunden lang hielt der Unheimliche den Toten unter Wasser gepresst.
Dann ließ er ihn los und verschwand. Niemand wusste, wo er herkam. Keiner konnte sagen, wo er geblieben war.
Nur die Bäuerin sah nach zwei Stunden den Leichnam Andors an die Oberfläche kommen.
Ganz langsam wurde er gegen das Ufer getrieben.
Die Bäuerin schnitt ein paar Stecken von den Büschen am Straßenrand und gebrauchte sie wie kleine Ruder. Damit holte sie den Toten ans Ufer. Als sie die Zeichen sah, schrie sie auf.
Dann aber besann sie sich.
Sie hatte von Draculas Vätern gehört. Und sie wusste, dass da ein Professor aus Frankreich gekommen war. Der einzige Mensch, der mit Draculas Vätern fertig werden konnte.
Die Bäuerin hatte auch ein Plakat gelesen, das der Kommissar geschrieben hatte.
Sie musste den Kommissar aufsuchen. Und diesen fremden Professor.
Drüben, am anderen Ende des Baia-Sees, stand die Hütte mit dem grünen Holzdach. Man kannte sie gut hier in der Gegend. Auch wusste man, wer darin wohnte.
Es war Gora Gölem, die hübsche junge Witwe des türkischen Kesselschmieds. Vor zwei Jahren war er abgestürzt, bei der Jagd, auf ganz tragische Weise.
Die junge Witwe lebte allein in der Hütte mit dem grünen Dach.
Die Bäuerin überlegte. Gora Gölem war die Letzte, die das Opfer der Dracula-Väter werden konnte.
Sie musste sich beeilen. Mit ihren kräftigen Armen hob sie Andors Leichnam vom Boden auf und legte ihn auf ihren Karren.
Dann schlug sie mit einer Rute auf ihren Esel ein und fuhr auf die Stadt zu, so schnell das störrische Grautier es zuließ.
So hatte die Bäuerin dem Kommissar die Geschichte erzählt.
Und so hörten Zamorra und Nicole Duval den tragischen Bericht jetzt von Mihail Petescu.
***
»Wieder zu spät also«, sagte Zamorra bitter. »Die Dämonen sind uns wieder einmal zuvorgekommen. Aber ich gebe nicht auf.«
Petescu sah in Zamorras entschlossenes Gesicht.
»Sie dürfen auch nicht aufgeben, Professor«, sagte er. »Niemand hat das Recht, uns einen Vorwurf daraus zu machen, dass wir gegen die Ungeheuer aus den Bergen bisher nicht antreten konnten. Aber bedenken Sie bitte, dass sie noch mehr Opfer holen könnten. Wir kennen nur wenige Namen. Es kann noch mehr geben. Noch mehr Nachfahren jener Familien. Wenn nicht hier, in den Karpaten, dann anderswo. Solange die Väter Draculas ihr Unwesen treiben können, wird das ganze Land nicht sicher sein.«
»Richtig«, sagte der Professor. »Wir müssen den Menschen die Furcht nehmen. Und ich bin entschlossener denn je, mit den Teufeln abzurechnen. Bitte zeigen Sie mir doch auf einer Karte, wo die Hütte von Gora Gölem liegt. Diese junge Frau wird das nächste Opfer der Draccus sein, wenn wir ihnen nicht zuvorkommen.«
Petescu hatte auf Zamorras Frage gewartet. Er hatte schon alle verfügbaren Karten zurechtgelegt.
Gemeinsam mit Zamorra beugte er sich darüber.
Der ganze Schreibtisch war mit den Karten ausgelegt.
Zamorras Interesse
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