0035 - Draculas Erbe
musste Andor Belä ertränkt worden sein. Irgendwo in diesem See, oder in einem der Felsenschächte ringsum, mussten die Geister der Hölle hausen, die so viel Schrecken über das Land gebracht hatten.
Es wurde schnell dunkel. Schwarzgraue Wolkenbänke türmten sich am Abendhimmel auf und verdeckten das letzte Sonnenlicht.
Ein Unwetter meldete sich an.
Zamorra entschloss sich, Gora Gölem aufzusuchen.
Er klopfte an die Hütte. Zweimal, dreimal.
Nichts rührte sich.
»Gora Gölem!«, rief er, so laut er konnte. »Hören Sie mich? Kommen Sie heraus! Sie kennen den Kommissar Petescu, nicht wahr? Er hat mich geschickt, um Sie in die Stadt zu bringen. Wir müssen Sie vor den Dämonen verbergen.«
Keine Antwort. Im Inneren der Hütte blieb alles still.
Erst, als Zamorra an der Tür rüttelte und sie zu öffnen versuchte, hörte er Schritte.
Eine Frauenstimme rief ihm etwas zu. »Geh weg, Teufel!«, rief die Stimme. »Ich weiß, wer du bist! Ich sehe dich genau, aber du kannst mich nicht sehen! Die Leute sagen hier viel. Sie reden von einem Professor aus Frankreich. Du siehst so aus wie er. Aber du bist der Teufel. Du hast seine Gestalt angenommen. Du willst mich verderben! Geh zur Hölle, Teufel, wo du herkommst!«
»Nehmen Sie Vernunft an, Gora Gölem!«, rief Zamorra zurück.
»Wir wissen ja selbst, dass die Geister ihre Rache an Ihnen ausüben wollen. Kommen Sie heraus, bevor es zu spät ist!«
»Zur Hölle, Teufel!«, schrie die Frau von drinnen.
Die Stimme klang dünn, als wäre sie weit entfernt. Zamorra ging einen Schritt zurück, warf sich mit aller Wucht nach vorn.
Die Tür gab um keinen Millimeter nach.
Da wusste Zamorra, dass die junge Frau sie verbarrikadiert hatte.
Nichts brachte die Frau dazu, zu öffnen und Zamorra zu folgen.
Sie hielt ihn für einen der Väter Draculas.
Zamorra musste sich einen anderen Weg einfallen lassen.
Er wollte gerade zurück zum Wagen gehen, als der erste Blitz über den dunklen Himmel zuckte. Berg und See wurden in ein gespenstisches Licht getaucht.
Dann setzte ein Unwetter ein, wie Zamorra es noch nie erlebt hatte.
Der Himmel schien auseinanderzubrechen. In Sekunden brachen alle Wolkenbänke auf und ergossen ihre Wassermassen über Land und See.
Nach drei Schritten war der Professor schon vollkommen durchnässt.
Die ganze Umgebung war schwarz wie die Nacht. Was die Dunkelheit an Licht nicht auslöschte, tat der dichte, wolkenbruchartige Regen.
Zamorra sah kaum die Hand vor Augen. Er stolperte mehrmals, tastete sich zurück zum Wagen.
Ein Wasserschwall folgte ihm, als er die Wagentür öffnete und sich auf dem Fahrersitz niederließ.
Abwarten , dachte er. Jetzt kommst du keinen Schritt voran. Jetzt kannst du nichts sehen. Die Erde nicht, und die Dämonen schon gar nicht.
Aber etwas sah er dennoch. Und das sollte der Anfang zur Lösung des letzten großen Rätsels sein.
***
Zamorra sah auf den Baia-See hinüber. Er lag vor ihm wie eine riesige, dunkle Schieferplatte. Fast unbeweglich, trotz des Sturmes, der über ihn hinwegfegte.
Von allen Felsenhängen stürzten ganze Flüsse in den See. Breite, schwarze Streifen aus brodelndem Wasser.
Aber das Merkwürdige war, dass der See nicht anschwoll! Im Gegenteil! Zamorra sah, wie der Wasserstand immer niedriger wurde!
Da hielt es ihn nicht mehr im Wagen. Ungeachtet des Unwetters stieg er aus. Mechanisch griff er nach der Strickleiter, nach den Steinhaken und der Spitzhacke.
Er wusste, dass er den Geistern der Hölle ganz nahe war. Völlig durchnässt kämpfte er sich voran.
Der Sturm drohte ihm die Lungen zu zerreißen. Zamorra rang nach Luft. Peitschend trieben ihn Regen und Sturm voran.
Dann war er am Ufer. Ging ein paar Schritte. Sah sich um und konnte nicht erkennen, was er suchte. Eine halbe Stunde trieb er wie ein Schiffbrüchiger am Ufer dahin. Oft stand er, obwohl er festen Boden unter sich spürte, bis zu den Knien im Wasser.
Ganze Sturzbäche ergossen sich von allen Seiten in den See.
Jäh flammten Blitze auf. Donner brachen sich in den Bergen. Hundertfach verstärkt krachten die orkanhaften Echos in allen Schluchten und Tälern.
Dann brach das Unwetter ab.
Grabesstille war um Zamorra. Eine unwirkliche, gespenstische Landschaft.
Endlich fand Zamorra, wonach er suchte.
Am Ufer lag ein kleines Boot. Es hatte sogar dem Wetter getrotzt.
Nur ein winziges Leck war an der Seite zu sehen.
Die Ruder lagen übereinander geschlagen in der Mitte des Bootes, mit einem Draht am Rumpf
Weitere Kostenlose Bücher