004 - Das Wachsfigurenkabinett
dem Gesetz in Konflikt gekommen. Ein Foto von ihr war dem Bericht beigefügt. Es zeigte eine hübsche schwarzhaarige Frau mit großen, nachtschwarzen Augen.
Dorian lehnte sich nachdenklich zurück. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was dieses Wachsfigurenkabinett mit dem Schatten zu tun hatte, dennoch würde er der Spur nachgehen. Als die Tür geöffnet wurde, sah er überrascht auf. Coco kam mit einem großen Tablett ins Zimmer.
»Guten Morgen«, sagte sie fröhlich, stellte das Geschirr ab und gab Dorian einen Kuß.
»Sieh dir das an«, sagte er und schob ihr die Fotos hin.
Coco studierte die Bilder aufmerksam. Als sie fertig war, hob sie den Kopf. »Wir haben es mit einem gefährlichen Gegner zu tun«, meinte sie. »Er kann Menschen zu Schatten verwandeln, und diese Schattengeschöpfe sind kaum zu töten. Es ist eine seltene Fähigkeit, die unglaublich viel Kraft und Kenntnis erfordert. Unser Gegner ist stark. Wir müssen aufpassen, sonst könnten wir einige unliebsame Überraschungen erleben.«
Dorian gab ihr einen kurzen Bericht über das tote Mädchen und das Wachsfigurenkabinett. Coco schlug vor, ihn zu begleiten, aber er lehnte ab. Er vermutete, daß ihr Name innerhalb gewisser Kreise der Schwarzen Familie bekannt war, und er wollte als harmloser Besucher bei Madame Picard erscheinen.
Dorian parkte den Wagen ein Stück von dem Museum entfernt. Er rauchte noch eine Zigarette, dann stieg er aus und schlenderte die Honor Oak Road entlang. Das Wachsfigurenkabinett befand sich in einem Backsteinhaus in der Benson Road. Er ging langsam darauf zu, durchquerte den Vorgarten und stieg die zwei Stufen zum Eingang hinauf. Hinter einer Kasse saß eine alte Frau mit weißen Ringellöckchen und einem schönen Spitzenkragen. Die Brille war ihr weit über die Nase gerutscht, und sie strickte. Jetzt sah sie auf und lächelte.
»Einmal«, sagte Dorian und nahm das Billett in Empfang. Ein weißer Pfeil wies auf eine Tür. Zum Wachsfigurenkabinett , stand darauf.
Die alte Frau mit den Ringellöckchen blickte dem Besucher zufrieden nach. Als dieser verschwunden war, nahm sie einen Zettel und schrieb ein paar Worte darauf. Dann steckte sie das Notizblatt in eine Schublade und nahm ihre Strickerei wieder auf.
Dorian gelangte in einen großen Raum, der in mehrere Gänge unterteilt war. Er sah sich kurz um, doch was er zu sehen bekam, entzückte ihn nicht. Die Figuren waren dilettantisch ausgeführt. Neben der Tür standen einige Monster, die allesamt aus einem SF-Roman der Dreißiger Jahre hätten stammen können. Der Dämonenkiller ging weiter. Der abgehackte Kopf von Robespierre grinste ihm aus einer blutbeschmierten Schale entgegen, daneben kniete Maria Stuart auf dem Schafott. In einer Nische stand ein ausgestopfter Gorilla, der ein nacktes Wachsmädchen auf den Armen trug. Beide Figuren waren besonders schlecht gearbeitet.
Dann aber blieb Dorian plötzlich überrascht stehen. Auf einem Bett lag ein alter Mann, die Hände wie in Abwehr ausgestreckt, die Augen weit aufgerissen, mit einem Ausdruck, der das Grauen widerspiegelte. Seine Kehle war durchgebissen. Über ihn gebeugt stand Dracula. Der Vampir sah erschreckend echt aus. Fasziniert starrte Dorian die zwei Gestalten an. Sie paßten gar nicht zu den anderen Wachsfiguren. Rasch blickte er sich um und trat dann näher.
Er berührte die Hand des Vampirs und kratzte mit den Fingernägeln daran, doch er bekam kein Wachs herunter. Er probierte es bei einer der anderen Figuren. Dort löste sich augenblicklich etwas Wachs ab. Nachdenklich ging er weiter, fand aber nichts Besonderes mehr. Aus der ganzen Sammlung ragte nur die Darstellung des Vampirs und seines Opfers heraus.
Ein junges Paar betrat den Raum und betrachtete die Figuren. Ihren Kommentaren entnahm Dorian, daß beide von den Schaustücken ebenfalls wenig begeistert waren. Er selbst verließ den Raum und blieb vor der Kasse stehen.
»Ich würde gern mit Madame Picard sprechen«, sagte er zu der Alten. »Läßt sich das machen?«
Die Frau nickte und drückte auf einen Knopf, der vor ihr aus der polierten Tischplatte ragte. »Sie wird sofort kommen.«
Eine halbe Minute später trat eine hochgewachsene Frau aus einer Tür und näherte sich dem Dämonenkiller. Er drehte sich um und musterte sie genau. Die Ähnlichkeit mit der Person auf dem Foto, das er vom O. I. erhalten hatte, war nur gering. Madame Picard trug einen weiten schwarzen Rock, der bis zum Boden reichte. Ein schwarzes Mieder spannte sich um
Weitere Kostenlose Bücher